Bomb City (SPOILER)

Hallo und danke @Herr_Kees für die Empfehlung meines Reviews.

Warum ich den Film besser bewertet habe, liegt daran, dass ich a) immer zu nett bin (VALLEY OF SHADOWS würde ich z.B. rückblickend viel niedriger einstufen, weil er echt ziemlich lahm und kein wirkliches FFF-Highlight war), und b) dass ich der Milieuzeichnung letztlich nicht ganz so viel Gewicht geben wollte, handelt es sich doch um keine Doku, sondern einen milieubezogenen Unterhaltungsfilm, à la DIE OUTSIDER oder WEST SIDE STORY, wo man das auch nicht ganz so genau hinterfragt. Und als Unterhaltungsfilm für den normalen Kinogänger funktioniert er doch recht gut.

Aber klar, man könnte als Kenner der Szene bei BOMB CITY schon öfter mal die Augen rollen oder gar ein wenig kicherrn.
Da steht der Iro stets perfekt, auch bei der Dusche, da sitzt jede Niete, die Schriftzüge auf den Jacken sehen stets aus, als habe man den Lackstift gerade weggepackt. Da biltzen die Zähne, Skorbut scheint ebenso ein Fremdwort zu sein wie “dysfunktionale Familie”, Arschlöcher in den eigenen Reihen gibt’s nicht, keiner zockt den anderen ab, trotzdem ist immer Geld da, um den ganzen Tag im Pickup herumzucruisen. Die Punk-Clique, obwohl dauernd am Stress machen, ist im Schnellimbiss hochwillkommen und wird sogar mit Handschlag begrüßt. (Ist von Euch schon mal jemand im Burger King mit Handschlag begrüßt worden? Ich nicht. Aber gut, der Burgerbar-Typ ist der einzige Schwarze im Film, das soll vermutlich signalisieren, dass in Texas die Ausgegrenzten zusammenhalten.)
Weiter im Text: Der Tramp kommt pünktlich auf den ersten Takt des Konzerts an (natürlich mit brennenden Öltonnen vor der Tür, die keiner anschürt), bei dem alle sofort wild anfangen, loszupogen, der Protagonist sitzt in der Abendsonne mit seiner Quasi-Famiie (Freundin + süßes Welpen) und und und… Wenn es Geruchskino gäbe, würde man da wohl eher Axe-Deo riechen als drei Tage lang getragene Klamotten.

Und auf der Gegenseite: fiese, homophobe Typen, alles Footballer, die Mädels nur Beiwerk, keine Liebespaare, kaum Emotionen etc.

Da wird schon ein ziemlich romantisiertes Bild auf der einen Seite aufgebaut und die andere von vorneherein als Feindbild kultiviert. Im Grunde macht der Film dasselbe, was der Anwalt vor Gericht macht, nur mit umgekehrtem Vorzeichen.

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Thank you. Schöner hätte ich es nicht sagen können. Es ist exakt diese manipulative Machart, die mir den Film verleidet hat. Und das hat nichts mit Zynismus oder Parteiergreifung zu tun, es ist eben wie schon erwähnt “preaching to the converted” und von daher in meinen Augen eine vertane Chance.

Würde zu dem gesagten gerne zwei Sachen anmerken:

  1. Die Famile (Mutter/Vater/Bruder) des Protagonisten ist eben NICHT eine Bilderbuchfamilie. Sie ist (auch durch das exzellente Mienenspiel und die Regie) eine Familie aus der schwindenen Mittelschicht/Arbeiterschicht die zwar gerne hätte das Ihre Söhne nicht als Punks den Hass der anderen heraufbeschwören, Sie aber trotzdem nicht radikal verstossen (wie es wahrscheinlich die raktionären Eltern der Sportler machen würden). Die Blicke des Vaters und der Mutter wie auch die Gespräche der Brüder sprechen hier BÄNDE und waren einer der Gründe warum ich den Film mit Höchstnoten bewertet habe. Auch das Verhältnis zwischen den Punks und dem Dinerchef ist deutlich ambivalenter: Ja, Sie begrüßen Ihn und er geht darauf ein (Wie man das bei JEDEM Gast als Wirt machen sollte) da dies auch de-eskalierend wirkt. Als der Streit ausbricht, ist er sehr schnell da um die Punks rauszuschmeißen und diese akzeptieren dies weil Sie ganz genau wissen das Sie gerade Mist bauen.
    Es ist hier also deutlich mehr Grau vorhanden.

  2. Es ist schon so, das die Punks knapp bei Kasse sind. Dies wird sowohl bei der Mietdiskussion mit dem Vermieter als auch bei der sehr knappen Bezahlung der Band klar. Die Autos die gezeigt werden, ein alter Pickup und die alte Limusine sind Autos die man zu dieser Zeit in Texas für sehr kleines Geld kaufen und betreiben kann. Vergesst bitte nicht das 1997-1999 in Texas man für lächerliche Summen so ein Auto um die Stadt fahren kann. Der Pickup ist die meistverkaufteste Autoklasse der Welt. Alle 3(!) Sekunden wird so ein F150 und ähnliches aktuell verkauft. (Nein ich verstehe es auch nicht).

Zur Punkt Manipulation: Ja, der Film hat sicherlich eine Entscheidung getroffen dem ermordeten Punk (und um NICHTS anderes geht es hier) ein Denkmal zu setzen. Er hatte das Pech, auf einen Mitbürger zu treffen der aus seiner feigen, unsichern und in einer völlig sozial-vergiftenten Umgebung eine fatale Entscheidung trifft. Das dies auch noch von der Gesellschaft im Gericht zu einer unverantwortlichen Konsequenz führt verhindert eine Reflexion und mögliche Sozialisierung des Täters. Es vermittelt: Dein Handeln hat keine Konsequenz solange Mamma und Pappa genügengt Kohle haben.

Aus meiner persönlichen Erfahrung werden solche „Proll-Highschool-Jocks“ in Ihrem späteren Leben selten verantwortungsvolle Personen. Bin mir sicher das man z.B. viele der Banker die uns die Krise vor 10 Jahren eingebockt haben auf solche ein Jugendleben zurückverfolgen kann. Auch die aktuellen Berichte zur Vergangenheit von Kavanaugh sprechen diese Sprache. Natürlich kann dies ein Vorurteil sein. Ich würde es gerne mal sehen das in einem Film so eine Figur („Sport-Bro“) mal einen sinnvollen Beitrag zur Gemeinschaft leistet. Nicht das die Punks jetzt da viel besser sind, aber dort ist die soziale Ader immer größer als bei den Helden des Partyvolkes. Zumindest sind die Punks in Frankfurt immer die höflichsten und ehrlichsten Bettler :wink:

Von daher wäre es fair, zu sagen das einen die einseitige Sichtweise stört. Den Film aber mit einer Bewertung unter 7 einzustufen zeigt das man für die reine Handwerkskunst die hier von allen beteiligten geleistet wurde nur wenig Verständnis hat.

Bei mir hatte die Gerichtsverhandlung am Ende einen bleibenden Effekt: Für die nächsten 15 Minuten hatte ich Panteras „5 Minutes Alone“ im Kopf jedes mal wenn ich Glenn Moreshower (den Anwalt des Täters) gesehen habe.

Ergänzung: Nur das man mich nicht mißversteht: Ich streite hier niemanden ab, das er Kritik an dem Film hat oder das Thema Ihn nicht interessiert. Es geht mir um eine gerechte Bewertung des Films.

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Ich habe dem Film 5 Punkte gegeben, weil er handwerklich so solide ist. Sonst wäre er für mich unter dem Mittelmaß angesiedelt. Aber „Handwerkskunst“ allein macht für mich eben noch keinen guten Film aus. Da hat eben jeder seine eigenen Kriterien, was ja auch gut ist. Ich bin sowieso kein Freund von Bewertungen, denn schließlich lassen sich Filme nicht wirklich messen oder vergleichen, wir sind ja nicht im Sport. Eine Punktewertung ist für mich immer ein Ausdruck persönlicher Einordnung auf meiner eigenen Skala. Und Geschmack ist halt Geschmackssache.

Ja, da war ich eventuell etwas sehr engstirnig (was die Bewertung angeht) Muss mir da auch selbst an die Nase greifen da ich bei Climax definitv recht subjektiv bewertet habe. Letzten Endes meinte ich damit, das es wünschenswert ist, wenn man einen Film der einen Inhaltlich nicht so interessiert trotzdem eine faire Bewertung zukommen lassen kann. Bei Bomb City wunderte mich halt bei einigen auch die sehr negativen Bewertungen da ich finde das ein gewisses Maß an filmischen Talent und Können eigentlich immer bewertet werden sollte. Ein Film mit einer brillianten Story der halt vertikal und mit aussetzenden Ton gedreht wird kann halt auch kleine 10 Punkte kriegen.

Auch das will ich gerne richtigstellen: Der Film hat mich durchaus inhaltlich interessiert, ich fand ihn einfach aus den genannten Gründen nicht besonders gut.

Ich bin ja irgendwo „mitverantwortlich“ dafür, dass es diesen Thread gibt, kann mich nur leider aus Zeitgründen momentan hier nicht so wirklich einbringen. Im Wesentlichen hat @Cinescout aber auch schon gesagt, was ich selbst zu sagen hätte. Auf das obige Zitat möchte ich aber zumindest trotzdem noch kurz eingehen, denn es irritiert mich enorm. Ich bin definitiv „Kenner der Szene“, ich hab u.a. jahrelang in einer Hardcore-Band gespielt und habe in dem Zeitraum, in dem BOMB CITY spielt, eine entsprechende Band wochenlang auf ihrer Tour quer durch die USA begleitet - und ich finde eben gerade, dass die Szene hier sensationell realistisch dargestellt wird. Glaube, das habe ich auch so in meinem Review geschrieben: dieser Film hat mich gerade deshalb so extrem beeindruckt, weil er endlich mal authentisch wirkt.

Fertige Leute mit positiven Visionen, die Konzerte organisieren und allen (teils persönlichen) Problemen zum Trotz versuchen, „Leben“‘ in ihren toten Kleinstädten zu wecken - ich habe die Szene und ihre Protagonisten in den USA in der zweiten Hälfte der 90er ziemlich genau so erlebt, wie es hier gezeigt wird. Warum/wo sollte hier also jemand mit „den Augen rollen“? Punk/HC in den USA ist/war halt auch etwas extrem anderes als zB im UK. Skorbut oder Ähnliches hast du bei den US-Punks wirklich selten gefunden… das war da schon alles immer etwas „safer“ als bei den heftigen Squatter-Jungs in England, Italien usw.

Abgesehen davon, wie es auch Cinescout schon angesprochen hat: Es stimmt ganz einfach nicht, dass die Punks hier als fehlerfreie Helden aus positivsten Zusammenhängen und speziell der Mörder als eindimensionales Monster gezeigt werden. Vielleicht den Film nochmal ansehen? Gerade mit dem späteren Täter beschäftigt sich BOMB CITY auf erstaunlich faire, vielschichtige Weise. Und macht deutlich, dass er zu seiner Tat wohl vor allem gedrängt wurde, weil er von seinen Jungs regelmäßig veralbert und nicht ernstgenommen wurde.

Insofern: Klar ist BOMB CITY irgendwo manipulativ. Aber es geht hier um den Mord an einem Unschuldigen, für den der Täter freigesprochen wurde. Wie sollte der Film da nicht Partei ergreifen…? Ich finde, angesichts des realen Geschehens gibt er sich erstaunlich „fair“.

Anders formuliert: habt ihr ähnliche „Ohh, das ist zu einseitig!“-Probleme auch mit GHANDI oder zB Filmen über Nelson Mandela? Die sind alle „manipulativ“, indem sie dafür sorgen, dass man die ganz reale Ungerechtigkeit als Zuschauer auch wirklich versteht und Partei ergreift. Ich persönlich bin der Meinung, dass ein solches Vorgehen durchaus legitim ist, zumal 2018. Denn es geht hier nun mal um die Realität und nicht um Storys, die man unterschiedlich interpretieren kann.

Davon ganz abgesehen… ich fand BOMB CITY unglaublich energiegeladen und fesselnd sowie mehr als kompetent inszeniert; temporeich und tight. Für mich deshalb absolut verständlich, dass er beim Fresh-Blood-Award Zweiter geworden ist.

Mit der Ansicht bist Du ja auch nicht alleine, der Film ist ja bei der Mehrheit gut angekommen. Und: Man kann es halt auch anders sehen. Es gibt bei Filmen und bei Kunst im Allgemeinen keine absolute Betrachtungsweise. Belassen wir es doch einfach dabei, damit es hier nicht auch so ausartet wie im MANDY Thread nebenan :wink:.

Ein Kenner und ehem. Mitglied der „Szene“ schrieb auf IMDB in seiner Review das er fast zu weinen anfing, WEIL die Szene so realistisch abgebildet wurde. Ich hatte vor vielen Jahren Freunde aus diesem Kulturbereich, und JA, der Iro saß NICHT immer perfekt, alles war irgendwie versiffter als im Film. Aber das ist ja wohl häufig so, das man sich fragt warum z.B. nach einer Wüstendurchquerung oder der Flucht vor Dinosauriern bei den Damen das Makeup noch so perfekt sitzt oder Mr Bond noch beide Manschettenknöpfe am Hemd hat … :wink:

Beruhigend, dass meine Sicht des Films auch von “prominenteren” Schreibern geteilt wird: