Ächz… es hat dann leider doch nochmal erheblich was länger gedauert, als von mir erhofft. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass es doch noch jemanden interessieren sollte:
„I counted days, I counted miles / To see you there, to see you there
It’s been a long time coming, but…“
(Taylor Swift, „Miss Americana & The Heartbreak Prince“ )
Mit Taylor Swift in Auschwitz
(M)Ein Ein popkultureller Rückblick auf das (Nicht nur-)Filmjahr 2024
Part 1: The Joyful Eight
Erstmal „Sorry!“ für die doch arg reisserische Titel-Schlagzeile… die fiel mir aber am Montag vor einer Woche auf dem Weg zur Arbeit spontan und aus heiterem Himmel ein. Und ich dachte so bei mir, dass sie dann aber doch zu „gut“ / far out sei, um sie nicht zu verwenden. Darüber hinaus war ich früher in bestimmten Freund:Innenkreisen durchaus dafür bekannt, nach aller Möglichkeit auch ja kein Fettnäpfchen auszulassen, oder wie es ein:e befreundete:r Butch einstmals so schön ausdrückte (als ich nach dem Ende eines Vortrags bei Judith Butler für ein Autogramm anstand (zu jenem Zeitpunkt waren uns ihre antisemitischen Ansichten noch nicht bekannt - sie hätten es aber durchaus sein können und wohl auch müssen)), dass ich mir „auch für nichts zu schade“ sei. So, there you have it. Im Grunde genommen habe ich damit eigentlich nur zwei Pole des vergangenen Jahres benennen wollen - die beklemmend-niederschmetternde Ausweglosigkeit und Endgültigkeit des millionenfachen Massenmords (nicht als Chiffre, sondern als Leerstelle) der Shoah in Glazers „The Zone Of Interest“, und im Gegensatz dazu die umfassend-respektvolle Erfahrung von Sich-Verstanden-und-Aufgehoben-Fühlen, die man auf den Konzertabenden von Swifts „Eras Tour“ machen konnte - die sich über dem popkulturellen Jahr 2024 aufspannten, und zwischen denen alles Andere, was sich anno 2024 sonst noch so in der Film-, Musik- und Literaturwelt ereignete, hin- und her-oszillierte.
Wie auch immer: Es war ein schönes und ereignisreiches Jahr, im filmischer Hinsicht jetzt zwar kein Kalendarium der herausragend die Filmhistorie verändernden Veröffentlichungen, dafür aber doch mit interessanten und begeisternden Streifen auf beinahe durchgängig erstaunlich hohem Niveau. Von denen ich bedauerlicher Weise - gerade auch zum Jahresende hin - doch so einige verpasst habe (aber dazu später mehr). Die vielleicht schönste Phase war dabei vermutlich von Mitte Mai bis Ende Juni, gute eineinhalb Monate, in denen ich nichts Anderes gesehen habe, als mir zum x-ten Mal von vorne bis hinten und dann wieder andersherum zurück George Millers „Mad Max“-franchise reinzutun… und dessen auch keine einzige Sekunde lang überdrüssig wurde, ganz im Gegenteil. Eine schöne und intensiv-bereichernde Beschäftigung mit einem meiner liebsten movie-franchises überhaupt. Zum FantasyFilmfest habe ich mich ja bereits ausführlichst geäussert, auch ebenjenes mit vielen tollen Filmen, wenn auch im 2024er Jahrgang wieder kein all time favorite und / oder instant classic dabei war. Aber auch davon ab hatte das abgelaufene Filmjahr ja durchaus die eine oder andere Perle zu bieten. Nachfolgend nun also „The Joyful Eight“ (ja, auch heuer hat’s wieder nicht ganz für eine Top Ten-Liste gereicht - was aber auch auf die vielen von mir leider doch noch verpassten Kino-Highlights zurückzuführen ist. Andernfalls hätte wohl noch die eine oder andere cineastische Kostbarkeit, vermutlich aus der Riege „Love Lies Bleeding“, „Des Teufels Bad“, „The Room Next Door“, „All Of Us Strangers“, „Challengers“, „I Saw The TV Glow“, „Cuckoo“, „Inside Out 2“, In A Violent Nature", „C’è ancora domani“ und „The Outrun“ sich einen Platz in der folgenden Aufzählung ergattern können), wie üblich mit Verlinkungen zu den (noch) ausführlich(er)en reviews:
Meine Lieblingsfilme des Kinojahres 2024 (incomplete, because of missing out)
Film des Jahres
„Nothing can erase this night / But there’s still light with you Rhapsody
And if we can never see the sun / There’s still light with you Rhapsody“
(Siouxsie and the Banshees, „Rhapsody“ )
"Heaven and Hell, I know them well / But I haven’t yet made my choice
I’m feeling scared 'cause I’m shouting loud / And no one can hear my voice
I’m walking the tightwire, can’t look down / Strung out high, above you all
Fateful wind blows through this land / Howls my name, heralds my fall
Over this land / All over this Wasteland
Over this land / All over this Wasteland"
(The Mission, „Wasteland“ )
Können diese Augen lügen?
Nun, dazu kann und will ich mir kein Urteil anmaßen (allein schon, da mir ihre Trägerin gar nicht persönlich bekannt ist) - Aber was diese Augen können, beziehungsweise was Anya Taylor-Joy mit diesen ihren Augen so Alles anstellen kann, davon konnte man sich im vergangenen Sommer überaus anschaulich nicht nur eines, sondern gleich tausende von Bildern in George Millers bildgewaltig-leinwandsprengendem Wüsten-Westerndrama „Furiosa: A Mad Saga“ machen. Miller hatte ja schon vor den Dreharbeiten zum allerersten „Mad Max“ das Bestreben, einen Film zu machen, der sich wie ein „silent movie with sound“ sehen und verstehen lassen sollte. In „Furiosa“ ist dieses Prinzip nun vielleicht stärker verwirklicht, als in allen vorherigen franchise-Einträgen. Die explizite Regie-Anweisung an Taylor-Joy lautete, quasi nur mit den Augen zu schauspielern (was sie selbst laut eigener Aussage vor ungeahnte Probleme stellte, und mehr als nur einmal an und bis über ihre Grenzen hinaus brachte). Allein schon angesichts dessen kann man ihre Leistung in diesem psychedelisch-postapokalyptischen, pessimistisch-pandämonischen „coming of (r)age“(© @Frank)-Charakterdrama und überzeitlich-mythischem Rachewestern voll verstörend-bizarr-betörender Brutalität und unterdrückter Leidenschaft, in dieser trist-traurigen Erwachsenwerdung eines jungen Mädchens, dem Alles genommen wurde, hin zu einer fast vollkommen verstummten Frau, die um Alles kämpfen muss und für ihre Genugtuung bis zum Äussersten gehen wird, gar nicht genug würdigen. Es mag 2024 objektiv bessere Filme gegeben haben, und einige wenige Streifen haben mich innerlich bedeutend tiefer angerührt als Millers Endzeit-Epos - aber kein anderer Film hat mich im vergangenen Jahr auch nur ansatzweise auf eine ähnlich intensive emotionale Achterbahnfahrt mitgenommen, als „Furiosa“ das vermocht hat. Ein wild-ungestümer, frostig-feuriger road trip voll höllisch-bizarrer Anmut, ein opulent-bilderstürmendes cineastisches Ausnahme-Ereignis, ein trotz seiner kärglich-öden Szenerie und stoisch-stummen Wortkargkeit überquellendes kinematographisches Füllhorn, ein einzigartig-epochaler Ritt durch die gesamte Filmgeschichte, der sich mal hier bedient, mal dort zitiert, und dabei doch eine stimmig-einzigartige Welt von unwirtlich-abstossender Schönheit erschafft. Eine grimmig-gnadenlose Reise durch die Untiefen einer gequälten Seele, für deren einsam-enigmatische, still erduldende Besitzerin Aufgeben keine Option ist. Ein Film, den ich so sehr liebe, dass ich ihn binnen eines Monats gleich sechsmal im Kino gesehen habe. Für mich persönlich der absolute Zenit meines Kinojahres, der Fluchtpunkt am Horizont, den andere filmische Werke in meiner Gunst nur schwerlich oder nie erreichen werden, ganz gleich, wie sehr sie sich auch anstrengen mögen. Es ist überaus schön und ungemein mutmachend, dass es auch in solchen Zeiten voller generisch-gleichgültig lassender Blockbuster-Klone immer noch Auteure wie Miller gibt, die sich bei der Verwirklichung ihrer Vision einen feuchten Kehricht um Genre-Grenzen oder die überzogen-redundanten Ansprüche irgendwelcher „Hardcore“-Fans scheren, sondern unbeirrt und konsequent ihren eigenen Weg gehen. Box office-bomb hin, artifizieller CGI-Plastik-look (der mich gar nicht gross gestört hat, sondern das Comic-haft-Überzeitliche des Ganzen nur nochmals zu betonen und herauszuheben half) her - „Furiosa“ ist Millers später Triumph, ein würdiges companion piece zum grandiosen „Fury Road“ und war wohl der vermutlich beste Grund, anno 2024 ein Kino zu besuchen. Witness her, or be cineastic square!
Die Meisten dürfen es, so wie ich selbst auch, schon bei der Kinosichtung bemerkt haben, aber dennoch: WTF ??!!??
Ach ja, eines noch: ROFLMFAO !!!
The following movies are in no particular order:
*Shooting Pictures ≠ Shooting People (???) - Berufs-Ethos und Bürger:Innen-Krieg
When war is coming to Garland-Land… Kirsten Dunst als desillusioniert-derangierte Kriegsfotografin Lee, Wagner Moura als großspurig-draufgängerischer Reuters-Korrespondent Joel und Stephen McKinley Henderson als väterlich mit Rat und Tat zur Seite stehender „New York Times“-Reporter Sammy machen sich auf einen road trip nach Washington, D.C., um mitten im Chaos des in den U.S.A. einer vielleicht gar nicht allzu weit entfernten Zukunft ausgebrochenen Bürger:Innen-Krieges den Präsidenten zu interviewen, unmittelbar bevor die Einnahme der Bundeshauptstadt durch militärische Kräfte der Abtrünnigen, und damit dessen Absetzung, droht… im Schlepptau die blutjunge, unerfahren-naive Nachwuchs-Bilder-Knipserin Jessie (Cailee Spaeny). Es wird eine Reise voller Schönheit und Schrecken, eine Fahrt mit ungewissem Ausgang durch ein zerrissen-sich-zersetzendes Land, in dem standesrechtliche Exekutionen, Häuserkampf, sniper shoot outs und Kontrollpunkte an Strassen-Sperren, an denen trigger happy Redneck-Milizionäre das Sagen haben, zur neuen Normalität geworden sind… und nicht Jede:R wird sie überleben, bzw. unversehrt überstehen.
In seinem trostlos-nihilistischem road movie „Civil War“, welches gleichzeitig als politischer Kommentar auf die soziokulturelle Verfasstheit der (no so) United States of America kurz vor dem Antritt von Donald J. Trumps zweiter Amtszeit (die, soviel scheint jetzt schon sicher, in der ältesten noch bestehenden Demokratie der Welt keinen Stein auf dem anderen lassen wird), als auch als mahnende Warnung an die Verantwortlichkeit von durch ihren Beruf Wirklichkeit nicht nur medial vermittelnde, sondern im Gegenteil (vermittels framing, Perspektive und (Nicht-)Abbildung der Umstände Realität tatsächlich erst schaffende / herstellende Bild(er)-Produzent:Innen verstanden und gelesen werden kann, schafft Alex Garland das Bild einer Nation im fortwährenden Modus der Zerstörung und Demolierung ihrer Selbst (ein Prozess, der tatsächlich in den 1980ern bereits begonnen hat, und sich seitdem immer mehr zugespitzt hat), einer Bevölkerung, die sich unversöhnlich gespalten diametral gegenübersteht, und sich gegenseitig wortwörtlich selbst zerfleischt. Kirsten Dunst liefert dabei als von Selbstzweifeln zerfressene und flashbacks geplagte war photographer-Veteranin mit leerem Blick und müdem Gesicht eine der wohl besten Leistungen ihrer Karriere ab. Die von Garland bekannten farbsatten Bilder voller blurry Konturen und verschwommener Oberflächen sowie das wuchtig-vordergründige Sound Design, das die Zuschauer:Innen ein ums andere Mal unvermittelt aus dem Kinosessel hochschrecken lässt, tragen ihr Übriges dazu bei, uns diese Reise mitten durch und in das zerstückelte heart of a nation in a state of disintegration unvergesslich zu machen.
Wenn Worte nichts mehr mitteilen können, und die Töne dennoch Alles sagen
„All dressed in uniforms so fine / They drank and killed to pass the time
Wearing the shame of all their crimes / With measured steps, they walked in line“
(Warsaw (Pre-Joy Division), „Walked In Line“ )
Kein anderer Film des vergangenen Jahres hat all Diejenigen, welche sich auf ihn einzulassen bereit waren, wohl so nachhaltigst verunsichert und tiefgehend verstört, wie Jonathan Glazers spröde-schonungslose Shoah-Familienaufstellung „The Zone Of Interest“. Stellvertretend für den überwiegenden Großteil der gesamtdeutschen Bevölkerung der NS-Zeit, wird hier am „ganz normalen“ Alltagsleben und den verwandtschaftlichen Konstellationen der Höß’schen Sippschaft der Umgang mit und das Verhalten der „arischen“ Blut-und-Boden-Profiteur:Innen und Kollaborateur:Innen gegenüber ihren jüdischen und Sinti-und-Roma-Mitbürger:innen, mit Beeinträchtigten und psychisch Erkrankten, mit all den verächtlich „unwertes Leben“ titulierten und darob entmenschlichten Mitmenschen durchdekliniert und veranschaulicht. Der Streifen bleibt dabei fast die gesamte Laufzeit über ganz bei den Täter:Innen, und scheint uns deren Perspektive geradezu aufzwingen zu wollen (was von den Zuschauer:Innen ein beständiges Dagegen-Anarbeiten einfordert, und das Anschauen zu einer überaus anstrengenden Prozedur macht). Wobei der Film darüber hinaus auch all das Leid und die Qualen der Dahingemordeten fast vollständig ausblendet, sie nur wie nebenher auf der Tonspur mitlaufen lässt, oder sie in ihren bloßen Ergebnissen zeigt, wie die qualmenden Rauchwolken eines Krematoriums-Schlots im Bildhintergrund. Wofür Glazer dann auch oft und vielfach kritisiert worden ist, und ihm unterstellt wurde, die Opfer und deren Erfahrungen zu unterschlagen. Ich selbst aber eher als Vorteil des Films ansehe. Denn durch den Verzicht auf die obligat gewohnten Bebilderungen des KZ-Alltags und der Mord-Maschinerie zeigt Glazer kein einziges der üblichen Shoah- / KZ-Klischee-Motive – und erspart den Zuschauer:Innen doch rein gar nichts. Er bleibt auch hier seiner skizzenartig-bruchstückhaften Narration und der abstrakt-artifiziellen Bildsprache, welche für manch Eine:N (für mich aber nicht, ich fand auch den schon großartig) damals schon die Kinosichtung von „Under The Skin“ zu einer laaaaangweilig-inhaltsleeren Geduldsprobe hat ausarten lassen, treu. Ein erschreckend-ungeheuerliches Mosaik aus ganz gewöhnlichen NS-Karrierist:Innen-Schicksalen, beiläufigen Grausamkeiten und der borniert-blasierten Banalität des Bösen, die unbegreifliche Leerstelle, welche der Tod der millionenfach industriell brutal Ermordeten hinterlassen hat, und deren ungeahnte Dimensionen kaum zu umreissen sind, ein allumfassendes, und dennoch unfassbares Grauen, das zu verstehen der menschliche Verstand nicht in der Lage ist. Ein namenloser Schrecken, der mit abrupter Wucht in die Glieder fährt, und dessen verunsichernd-niederschmetternden Nachhall man lange nicht abschütteln wird können (und vielleicht auch gar nicht sollte). Die klagend-karge Elegie eines soziokulturell-historisch singulären Menschheitsverbrechens. Ein Film wie eine klaffende Wunde, die sich partout nicht schliessen will, und der trotz seiner nunmehr bald achtzig Jahre zurückliegenden Ereignisse gerade heutzutage aktueller und zeitgemäßer nicht sein könnte. Und Jonathan Glazer allerspätestens jetzt als einzig legitimen Nachfolger Stanley Kubricks etabliert hat.
Von drohender Todessehnsucht und unbändiger Lebenslust
Von allen Filmen, die ich 2024 gesehen habe, hat mich wohl kaum einer (allerhöchstens noch der FFF-Beitrag „Else“, aber dazu kommen wir später noch) so tief gerührt wie Romain de Saint-Blanquats 1968er-Sturm-und-Drang-Drama „La Morsure“ (a.k.a. „Bitten“). Dreimal war ich während der Kinosichtung auf den FFF-Nights 2024 so bewegt, dass ich still habe weinen müssen. Und ich hier und heute noch nicht einmal genau sagen schreiben könnte, warum denn. Aber diese kleine feine, im Stil des franko-italo-iberischen Exploitationkinos der 1960er abgefilmte Indie-Perle um weibliche Adoleszenz, jugendliches Aufbegehren und ungestüm-leidenschaftliche Teenager-Sehnsüchte hat mich schon mit den ersten Bildern gekriegt, und dann auch nicht mehr losgelassen. Ein verträumt-somnambules, melancholisch-entrücktes, federleicht-todtrauriges Coming of Age-Chanson, so flüchtig wie ein nachmittäglicher Tagtraum, so verspielt-vergänglich wie die erste Liebe, so ungezügelt-grenzenlos wie die Ideale der Jugend. So schamlos-schüchtern wie verstohlen-scheue Blicke aus dunklen Rehaugen, so berauschend-verkatert wie ein viel zu großer Schluck aus der Weinflasche. So leidenschaftlich-rückhaltlos wie der erste Kuss, so kratzend-schmerzhaft wie der erste Zug an einer Zigarette. So überlebensgross unaufhaltsam mitreissend und dringlich-drängend viel zu schnell wie das Erwachsenwerden-und-dabei-doch-ein-Kind-Bleiben-Wollen. Mit einer phänomenal aufspielenden, die extremen und impulsiv-urplötzlichen Stimmungsschwankungen, all die Unsicherheit und den emotionalen Überschwang ihrer Figur perfekt verkörpernden, absolut authentisch glaubhaft agierenden Hauptdarstellerin (Léonie Dahan-Lamort) und einem catchy groovenden Sixties-Soundtrack par excellence. Ich zitiere mich kurz mal selbst, aus oben verlinktem review, weil: Besser könnte ich es jetzt und hier auch nicht formulieren:
„La Boum“ und „Les Roseaux sauvages“ treffen Jean Rollin und Jean-Luc Godard auf einer ausschweifend-ausgelassenen Gutshaus-Party im nächtlich-verlorenen Traumwald der todessehnsüchtig-lebensleidenschaftlichen Teenage Goth Gauloises. Ein kleines großes Filmwunder. Day dreaming of dying while longing to live with every fibre of one’s body.
Falls Ihr „La Morsure“ (noch) nicht gesehen haben solltet, beneide ich Euch sehr darum.
Denn Ihr wisst gar nicht, was Ihr verpasst habt.
Soular Death Trip - When All Things Fade Into One
Aus zugegebener Maßen sehr persönlichen Gründen war das „Lieben und Sterben Lassen“-Body Horror-„Dysmorphie als Pandemie“-amour fou-Drama „Else“ eines meiner highlights des letztjährigen FFF-main event-Jahrgangs. Und die spinnert-schräge Love and having to let go Story, welche alsbald - den Figuren seines Films gleich - in immer und wieder neue und andere Formen, Genres und Untertöne shiftet und shaped, und ganz zum Ende hin in einen veritablen Todestrip ausufert, den sich auch ein Darren Aronofsky zu seligen „The Fountain“-Zeiten nicht besser hätte ausdenken und bebildern können, rangiert dementsprechend in der Aufzählung meiner liebsten Filme des letzten Kinojahres ganz weit oben. Als hätte Michel Gondry versucht, eine Cronenbergsche Variante eines Junji Itō-Horror-Manga zu verfilmen. In einem reduzierten Stil gehalten, holt der Streifen Alles, und dann nochmal mehr, aus seinen arg begrenzten Mitteln heraus. Und erschafft dann doch immer wieder Bilder, die man so noch nie gesehen hat. Von einer Welt, in der sich Grenzen - von Dingen, Lebewesen, Alles und Jedem - zunehmend auflösen, und Alles, was ist, mehr und mehr ineinander übergeht, völlig miteinander verschmilzt. All-Eins-Sein hat noch nie so bizarr-außerweltlich schön ausgesehen. Das Aus-der-Welt-Gehen als In-der-Welt-Aufgehen. Ein transmorphender Kosmos, in dem Liebe, Vergänglichkeit, Trauer, Freude und Leid letzten Endes nur mehr Ausdruck für ein und dasselbe sind. Eine transzendierend-tröstliche Totenklage in einem uferlosen Ozean aus lebendiger Materie.
„You were not there for the beginning. You will not be there for the end.“
(William S. Burroughs, „Naked Lunch“)
„Es geht nicht!“ - Ein Großstadtleben als Irrlicht in der dunklen Nacht der Psyche
Lilith Stangenberg geistert als rastlos Getriebene ihres eigenen sie innerlich hin-und herwerfenden, nie explizit benannten psychischen Ausnahme-Zustands durch das sommerlich-überfüllte Berlin, und wir als Zuschauende müssen mit bei dieser ausbrennend-aufreibenden, kirre machend kaputtlebenden Odyssee durch Tage und Nächte, Nachmittage und Abende, Arbeits-meetings und Familienrats-Treffen (krass unangenehm Jeanette Hain als schroff-egomanische Übermutter), small talk mit dem Kioskbesitzer um die Ecke und Techtel-Mechteln mit dem illicit lover. Dazu kommt noch, dass Martha, so heisst Stangenbergs Figur in Kida Khodr Ramadans fiebrig-verlorenem Psychogramm und Charakterstudie „Haltlos“ (ich selbst habe nach der Sichtung leider keinen Text zum Film verfasst, deshalb ein Link zu einem review von der ganz wunderbaren Silvia Szymanski) schwanger ist, und - wie mit so ziemlich Allem in ihrem unsteten Leben - auch damit natürlich vollkommen überfordert. Selbst für eine psychisch stabile junge Frau im Moloch Berlin wäre es sicherlich keine leichte Sache, als Alleinerziehende ein Kind zu gebären und grosszuziehen. Für Martha aber ist es eine Unzumutbarkeit, ein nicht auszuhaltendes Extrem, so wie auch alles Andere in ihrer Existenz. „Es geht nicht, es geht nicht, es geht nicht!“, diesen Satz murmelt sie, wie schlafwandelnd durchs urbane Terrain aus U-Bahn-Steigen, Kiez-Cafés und Spätis, einem Mantra gleich unablässig vor sich hin. Alle, die ihr zu helfen versuchen, kommen irgendwie nicht so richtig an sie ran, kriegen sie und ihre Probleme nicht zu fassen. Der Sachbearbeiter vom Familienamt, wohin es Martha verschlägt, weil sie das noch Ungeborene zur Adoption freigeben will, wäre in anderen Filmen gleich zur ersatzväterlichen Nebenfigur mit dem großen Herzen und immer passenden Ratschlägen mutiert - hier bemüht er sich zwar redlich, aber das war’s dann auch. Manchmal sitzt, steht oder geht Martha irgendwo herum, auf diesem Endlos-Langstreckengang weg von sich selbst, hin zur inneren Katastrophe, und man sieht aus ihrer Ego-Perspektive die Gesichter der ihr Entgegenkommenden oder um sie herum Sitzenden. Ein fordernd-aggressiv vorgebrachtes „WAS ???“ ist Alles, was sie ihnen ob dieser in ihren Visagen verborgenen fragenden Zumutung entgegenschleudert. Marthas Leiden an der Welt und an sich selbst, ihre Verzweiflung und Vergeblichkeit, all die tiefe Traurigkeit und das innere Getriebensein, alles das bleibt letztlich unerklärt. Man muss sich schon ganz auf diese in und an der Welt verlorene Person, auf ihr Hadern mit sich selbst und den Anderen, die alles das, was ihr selbst zu tun so tonnenschwer fällt, scheinbar doch ganz mühelos irgendwie gewuppt bekommen, einlassen können, sonst wird man es sehr schwer haben mit Martha und „Haltlos“. Wem das aber gelingt, die:der wird mit einem der wohl interessantesten und vielschichtigsten deutschen Filme der jüngeren Vergangenheit belohnt. Einer kleinen verzweifelt-verlorenen, liebevoll-ungeliebten Großstadt-Ballade von Einer, die aller Liebe von Anderen, und aller Liebe für ihre eigene kleine Tochter zum Trotz, an sich selbst zu zerbrechen droht. Als hätte die Berliner Schule eine new economy-mashup-Variation aus Polanskis „Repulsion“ und Żuławskis „Possession“ gedreht. Ich fand Lilith Stangenbergs Schauspiel ja schon in Nicolette Krebitz’ sträflich unterschätztem „Wild“ herausragend. Wie sie sich hier aber mit Allem, was sie hat, in ihre Rolle wirft, mit Haut und Haar in ihrer Figur aufgeht, ist phänomenal einzigartig, und eine bravouröse Glanzleistung. „Ich will das unbedingt spielen, ich finde es so gut!“ sagte Stangenberg nur wenige Stunden, nachdem dieser ihr das Drehbuch hatte zukommen lassen, zu Kida Ramadan. Und wurde dann seiner eigenen Aussage nach während der Dreharbeiten zur Ko-Regisseurin, so sehr hatte sie die Rolle verinnerlicht. Und ja, es ist so gut. Von der tollen Kamera-Arbeit Stéphane Kuthys, über den schönen Soundtrack voller weird-spinnerter, von Brezel Göring (Ex-Stereo Total (R.I.P. Françoise Cactus)) komponierter und von Stangenberg selbst gesungener Indiepop-Chansons, bis hin zum todtraurigen, aber nur völlig konsequenten Ende (Drehbuch: Antje Schall).
„Verfall überall / Trostlosigkeit für Alle! / Verfall überall / Trostlosigkeit für Alle!
Und wer hält immer zu Dir? / Das Gefühl, dass niemand zu Dir hält“
(Auch hier - wie schon in meinem review zum Film im „FFF 2024“-thread - wieder keine Titel-Überschrift, weil eine verknappend-verkürzende headline der Komplexität und Ernsthaftigkeit des Ganzen IMHO nicht gerecht werden würde)
Wenn „The Zone Of Interest“ im letzten Kinojahr der grauenhaft-niederschmetterndste Film war, dann ist „Skunk“, Koen Mortiers Charakterstudie einer unwiederbringlich zerstörten Kindheit und brutalstmöglichst zerschmetterten Psyche, mit Sicherheit wohl der kompromisslos-unangenehmste Streifen der letzten zwölf Monate. Ein mit aller Härte unerbittlich zuschlagender filmischer sucker punch, der volle Pulle genau in Deine Magengrube trifft. Ein Sozialdrama direkt aus der white trash-Hölle, in der unschuldige Kinderseelen über offenem Feuer zu weissgrauer Asche verbrannt werden, in der dampfendheiss übervolle Suppenteller in juvenile Visagen geknallt werden, in der Verprügeln bis zur Bewusstlosigkeit und das Einsperren im Kofferraum der Familienkarosse scheinbar anerkannte Erziehungsmethoden darstellen, und in der ein achtjähriger Junge keine Chance auf ein halbwegs unversehrtes Heranwachsen hat. Soeben entsicherten Handgranaten gleich, immer kurz vor der Explosion stehend, stolpern die jugendlichen Bewohner der Sozialhilfe-Einrichtung durch ihren Alltag, in welchem all ihre kaum verdrängten, geschweige denn verarbeiteten unterschwelligen Traumata immer kurz unter der harmlos wirkenden every day life-Oberfläche lauern. Mortier behandelt seine Protagonist:Innen mit gebührendem Abstand, und schafft es dennoch, eine ungeheuer dichte Atmosphäre von ständiger Anspannung zu erzeugen, in der sich jederzeit der nächste Wutausbruch Bahn brechen, die nächste Gewalttat aus den ehemaligen Opfern, die oft genug selbst zu Tätern werden, herausbrodeln kann. Ein bei aller Grausamkeit der geschilderten Ereignisse dennoch ungemein sensibel und behutsam vorgehender Film, mit still beobachteten Momenten voller poetischer Zärtlichkeit - bis der nächste Trigger alle vorhergehenden minimal kleinsten Erfolge der oft genug hilflos und unbeholfen wirkenden Resozialisierungs-Maßnahmen wieder zunichte macht. Ein endlos scheinender Leidensweg ohne Hoffnung, den sich beständig selbst reproduzierenden Kreislauf der Gewalt durchbrechen zu können, ein aus tiefster innerer Resignation geborener filmischer Aufschrei, der hoffentlich nicht ganz ungehört verhallen wird. Ein schonungsloser Fingerzeig auf die lichtlosesten Abgründe der Gesellschaft und des menschlichen Zusammenlebens, bei dem Wegschauen nicht erlaubt ist, eine empathisch-einfühlsame, schmerzhaft-realistische, beinahe schon dokumentarisch wirkende Ausnahme-Erfahrung sozialer Verrohung und familiärer Verwerfungen, in der nichts je wieder gut werden kann und wird. Mit einem (wie bei Mortier mittlerweile ja schon üblichen) großartig passenden Soundtrack, zu einem Gutteil von der belgischen Post Extreme Metal-Band Amenra komponiert und dargeboten. Der ungemein intensiv agierende Hauptdarsteller Thibaud Dooms ist eine echte Entdeckung. Must-See nicht nur des FFF Zwanzig-Zwei-Vier, sondern vielleicht des ganzen Kinojahres - aller schwer erträglichen und kaum auszuhaltenden Szenen zum Trotz.
„Got a joke for us today?“ - "You get what you fucking deserve!"
… und ja, Alle, die im letzten Jahr Todd Phillips’ langgedrehte Nase gegenüber allen Filmkritiker:Innen und erigierten Mittelfinger an alle seinen Vorgängerfilm falsch verstanden haben(wollen?)den Fans gesehen haben, haben in der Tat bekommen, was sie verdammt nochmal verdient haben… und vermutlich absolut garnicht, was sie erwartet hatten. Weder rein eskapistische Musical-Revue noch messerscharf analytisches courtroom drama, weder Psychogramm von Arthur Flecks kaputt-krimineller Gedankenwelt, noch amour fou mit Gagas fabulös verkörperter Lee Quinzel - "Joker: Folie à Deux“ stiess Allen, die sich es in allzu bequemer Erwartungshaltung einer glatt reinlaufenden „Joker and Harley-Show“ im Kinosessel gemütlich gemacht hatten, mit Anlauf und Schmackes aber mal sowas von ganz gehörig gegen das cineastische Schienbein, dass sie vermutlich mit schmerzverzerrtem Gesicht nach Hause gehumpelt sein dürften. Dass not everyone got the joke, war dabei von vornherein einkalkuliert, und gehörte zum nicht ganz so guten, und stellenweise absichtlich schräg gesungenen Ton mit dazu. Was "Folie à Deux“ zwar noch lange nicht zu einem wirklich guten und rundum gelungenen Film macht, aber die Chuzpe und Unverfrorenheit, mit der Phillips, Phoenix und Gaga hier einen Scheissdreck auf sämtliche Erwartungen und an den Film herangetragenen falschen Ideen geben, ist einfach nur bewundernswert, und macht den Streifen zu einem vollkommen alleinstehenden Unikat in der Filmlandschaft des Jahres 2024, und einem großen und großartigen Kino-Vergnügen noch dazu. Ein überkandidelt-schlagfertiger Witz voller Esprit und Eloquenz auf Kosten des anwesenden Publikums, dessen Pointe wohl längst nicht Jede:r verstanden haben, und bei dem so mancher:manchem Zuschauer:in das Lachen im Halse steckengeblieben sein dürfte. Mir aber schnuppe, ich hab’ mich gar köstlich amüsiert.
Und das war’s, mit Teil 1 meines nie endenwollenden Jahres-Rückblicks. Wie üblich erfolgte die Auswahl dieser Liste nach rein subjektiven Kriterien. Soll heissen, dass die aufgeführten Werke nun vielleicht nicht die objektiv gesehen „besten“ Filme des vergangenen Jahres waren, wohl aber diejenigen, die mich emotional am Meisten mitgenommen / mir das nachhaltigste food for thought mit auf den Weg aus dem Kinosaal heraus (und oftmals noch lange danach) gegeben haben. Also die mir liebsten, und nicht immer die unbedingt „besten“ Filme. Wer aufmerksam mitgelesen hat, der:dem dürfte nicht entgangen sein, dass die Bezeichnung „The Joyful Eight“ auf mindestens zwei der von mir hier vorgestellten Streifen (nämlich „The Zone Of Interest“ und „Skunk“) nun nicht wirklich zutraf… aber wie schon bei der Gesamt-headline fand ich den Titel zu griffig-einprägsam, als dass ihn derlei Kinkerlitzchen wegen hätte verwerfen wollen.
Gut, ich mach’ hier nun erstmal einen cut, wanke gen Bettstatt und versuche ein wenig Schlaf zu finden. Teil 2 mit allem Anderen, was mich im letzten Jahr in popkultureller Hinsicht so bewegt hat und mich mich selbst bewegen liess, dann hoffentlich etwas zeitiger, und nicht wieder mit eineinhalb Wochen zeitlichem Abstand - und ja, darin gibt’s dann endlich auch was zu Taylor Swift zu lesen… ob Euch das nun gefallen mag, oder nicht. Bis dahin erstmal „Gut’s Nächtle!“ und süsse Alpträume allerseits!
P.S.: Wer etwaige Tipp-, Grammatik- und / oder Syntaxfehler finden sollte, darf die vorerst gerne und bis auf Weiteres behalten… ich bin jetzt zu müde dafür, den ganzen Quatsch auch noch daraufhin durchzusehen, und mach’ das dann nach dem Aufstehen heute im Laufe des Tages wohl, oder aber allerspätestens irgendwann morgen noch.
„And I’ll never let you (Go !!!) / 'Cause I know this is a (Fight !!!)
That someday we’re gonna (Win !!!)“
(Taylor Swift, „Miss Americana & The Heartbreak Prince“ )