Fazit zum FFF 2024

Aus Lust und Laune griff ich mir, als ich Mittwoch nachmittag zum letzten FFF-Tag aufbrechen wollte, mein „The Witch“-Shirt aus dem Kleiderschrank… eine gute und irgendwie bezeichnend-allegorische Wahl für den Besuch eines Filmfestivals. Denn so wie auf dem T-Shirt-Motiv, macht man sich ja auch bei einer festivalbedingten filmischen Entdeckungsreise auf eine Exkursion ins Unbekannte. Stösst man, ungewiss all der Dinge, die da vor Einer:Einem liegen mögen, nackt und ungeschützt, den Eindrücken, Anwürfen und Erfahrungen, denen man möglicherweise ausgesetzt sein wird, hilflos ausgeliefert, vor in eine terra incognita, von deren Wegmarken und Gefahren das bleich schimmernde Mondlicht mehr verbirgt, als enthüllt. Findet man bei seiner neugierig-ängstlichen Erkundung des Neulands vielleicht zuvor ungeahnte Verheissungen, stöbert man vergrabene Schätze auf, und macht aber unter Umständen auch die Bekanntschaft mit verängstigenden Schrecken, die sich im undurchdringlich scheinenden Dickicht dieses Forsts der Finsternis versteckt halten können. Unter Umständen betritt man sogar kaum zugängliche Bereiche des Waldes, in die man gar nicht hatte eindringen wollen, und macht dann lieber schnell kehrt. Und alle diese verschiedenen Erfahrungen habe ich auch auf dem diesjährigen FF machen können und dürfen. Von ganz wundervollen und berührenden Erlebnissen (”Else”, ”Mermaid Legend”, ”Vampire humaniste…”, ”Les pistolets en plastique”, ”Twilight Of The Warriors”), über eher verstörend-grauenerregende Territorien (”Skunk”, ”Steppenwolf”), bis hin zu Arealen, in die ich lieber keinen Fuss gesetzt hätte (”Strange Darling”, ”Breathing In”). Dennoch - und auch gerade deswegen - hat sich der filmische Trip ins Ungewisse auch dieses Mal wieder absolut gelohnt, und meine cineastische Entdecker:Innen-Lust reichhaltigst belohnt. Auch wenn es nach meinem Empfinden vom line-up her jetzt nicht der allerstärkste Jahrgang war. Ein wenig vermisst habe ich den einen oder anderen Animationsfilm, auch Hard Sci Fi war heuer leider so gar nicht mit an Bord. Auch was sowohl die thematische, als auch stilistische Vielfalt angeht, so habe ich einige zurückliegende Jahrgänge da als etwas breiter aufgestellt in Erinnerung. Aber vielleicht ist das auch nur die zeitlich abstandsbedingte Verklärung in der Rückschau. Wie dem auch sei, ich für meinen Teil kann nun wirklich nicht meckern, ganz im Gegenteil. Hatte auch wieder ein recht glückliches Händchen, was die Kongruenz meiner Vorauswahl und des persönlichen Filmgeschmacks angeht. Nur auf “Strange Darling“ und “Breathing In“ hätte ich gerne auch verzichten können. Aber was soll’s? Ein faules Ei ist ja immer mit dabei, und heuer war’ns für mich gleich zwei (hey, das reimt sich… :wink: ). Was die Einordnung der von mir gesehenen Filme angeht, da hab’ ich’s mir in diesem Jahr einfach gemacht, und kurzerhand nochmal das Bewertungs-Schema vom „Fazit FFF2019“-thread per copy & paste recycled… man möge mir das nachsehen, aber zum Einen hatte ich in diesem Jahr mal so gar keine zündenden Einfälle, was neue Kategorien angeht, und zum Anderen auch weder Zeit noch Lust, mir dann jetzt auch noch groß 'nen Kopf drum zu machen. Habe die einzelnen Filme dann auch wieder zu meinen ausführlichen Text-reviews im „FFF 2024“ verlinkt, falls jemand wirklich so verrückt sein sollte, sich die ganzen endlosen Bleiwüsten und ausufernde Buchstaben-Diarrhöe (nochmal) antun zu wollen. Meine vier Lieblingsfilme sind unabhängig von (m)einer Bewertung nach Qualitäts-Kriterien einfach die Filme, welche mir während der Festival-Sichtungen am meisten Spass gemacht / mich emotional am Heftigsten mitgenommen haben. Ein bisschen leid tut’s mir da ja für ”Vampire humaniste…”, der eigentlich noch mit drin war in den Fab Four, dann beim gründlichen Überdenken aber doch den Kürzeren gezogen hat gegenüber ”Mermaid Legend”. Vermutlich auch deshalb, weil mich der thematisch ja überaus anverwandte, aber stürmerisch-leidenschaftlichere “La morsure“ (a.k.a. “Bitten“) im Frühjahr erst auf den FFF-Nights dann doch bedeutend tiefer angerührt hat, und ich auch Léonie Dahan-Lamorts (<— noch so ein großartiger Name :wink: ) exzeptionell beeindruckendes Schauspiel noch einen (aber wirklich nur ganz) klitzekleinen Tick beeindruckender empfand als Sarah Monpetits eher zurückgenommene performance voll schlichter Größe. Da war die humanistische Vampirin dann vielleicht doch ein wenig zu still und scheu, im direkten Vergleich mit der impulsiv-trotzigen Art der rebellisch-temperamentvollen Sturm-und-Drang-Klosterschülerin. Dennoch hat der Film all meine Liebe.

Was die ellenlangen Text-Ergüsse anbelangt, für die ich hier im Forum mittlerweile ja schon eher berüchtigt, denn berühmt bin: Es tut mir für alle Leser:Innen, die sowohl die Ausdauer und Geduld als auch den Mut aufbringen, sich da immer wieder aufs Neue durchzuwühlen und durchzuquälen, wirklich von Herzen leid, allein: Das wird in diesem Leben nichts mehr, mit mir und Sich-in-aller-Kürze-Ausdrücken… Und auch, wenn ich zum Teil ja auch deshalb schreibe, um meine Gedanken über das Gesehene ein wenig zu ordnen, und nicht alle Impressionen / Empfindungen zu den gesichteten Filmen in Vergessenheit geraten zu lassen, so freut man sich dann ja doch immer ein wenig, wenn es tatsächlich noch ein, zwei Menschen gibt, die sich den ganzen Dreck wirklich noch antun mögen. Von daher auch hier nochmal Danke fürs tapfere und unverzagte Bleiwüsten-Entziffern an diejenigen paar Furchtlosen, die das unerschrocken ein ums andere Mal auf sich nehmen, und mich vermutlich bei jedem weiteren Endlos-Text aufs Neue innerlich verfluchen. Ich bin auch nicht mit allen Texten, die ich da so verbrochen habe, selbst zufrieden - das ist man ja vermutlich nie so ganz, aber im Falle meiner reviews zu ”Mermaid Legend”, ”Else”, ”Twilight of The Warriors”, ”Steppenwolf” und ”Handling The Undead” kommt das da und dort zu Lesende aber wenigstens näherungsweise dem, was ich hatte sagen und schreiben wollen, in etwa gleich. Gar nicht happy bin ich dagegen mit meinen Ein- und Auslassungen zu ”The Substance” und ”Strange Darling”, die irgendwie den Kern dessen, was ich im Kopf hatte, nicht wirklich getroffen haben. Aber dann ist das eben so. Man kann ja auch nicht immer zu hundert Prozent die gedanklichen Assoziationen und flüchtigen augenblickhaften Sinneseindrücke wortwörtlich ausdrücken. Ich zitiere mal kurz eben die Eingangsworte aus meinem „Furiosa: A Mad Max Saga“-Zweitsichtungs-review:

„Über Film(e) zu schreiben, ist ja generell schon keine immer ganz einfache Sache. Was und wie die Bilder auf der Leinwand in uns als Zuschauer:Innen Emotionen wecken, uns zum Nachdenken, Mitfiebern und Um-bloß-ausgedachte-Figuren-Bangen-Lassen bewegen, uns mit weit geöffneten Augen träumen lassen, in geschriebene Worte zu übersetzen, wird wohl immer ein fragmentarischer und lückenhafter Prozess bleiben. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, eine Binsenweisheit, ja - aber eine überaus treffende.“

Und so ist das nun mal, und wird wohl auch so bleiben. Solange ich aber wenigstens ab und an mal näherungsweise an das, was ich hatte sagen wollen, und was mir an Film(en) wichtig und bedeutend ist, rankomme, bin ich da schon halbwegs zufrieden. Auch, wenn es dann wieder ein end- und uferloser Text-Wust geworden sein mag. Seid so nett, und seht es mir ein bisschen nach, oder lasst den ganzen Quatsch einfach links liegen, und versucht drüber weg zu lesen.

Na gut, kommen wir nun also zu meinem persönlichen „FFF 2024“-movie ranking:

The Fab Four (Meine vier Lieblingsfilme des diesjährigen Festivals)
“Mommy loves you.” (Isabella Rosselini, “Blue Velvet“)

  • John Lennon: Der ungestüme Wilde, der gerne mal die Klappe zu weit aufreißt - ”Skunk”

  • Paul McCartney: Der Konservativ-Bodenständige, der insgeheim rebellieren möchte - ”Mermaid Legend”

  • George Harrison: Der esoterisch angehauchte Mystisch-Sinnsuchende - ”Else”

  • Ringo Starr: Der schweigsame Stille, der ab und an mal einen Witz erzählt - ”Steppenwolf”

Herausragend
“The whole hill… smelt like… victory!” (Robert Duvall, “Apocalypse Now”)

  • ”Skunk”
    Der Downer des Festivals, der Tiefpunkt des Glaubens an jede Menschlichkeit, die völlige Absenz von Zuneigung - Koen Mortier erzählt wieder mal schonungslos und ungeschönt, aber immer mitfühlend und verstehend, von den Abgründen der Gesellschaft. Ungemein poetisch, auch in seinen finstersten Momenten, und ein notwendiger filmischer Aufschrei. Eine Kindheit, die niemals hat sein dürfen, eine Adoleszenz, die niemals wird sein können.

  • ”Twilight of The Warriors: Walled In”
    Die große Film-Party als rauschend-beglückender Rausschmeisser, ein melancholisch-bittersüsser Blick zurück auf ein vergangenes Hongkong, ein verlorenes Lebensgefühl… Mehr Kino als in „Twilight Of The Warriors: Walled In“ geht nicht mehr!

Sehr gut
“Louis, I think this is the beginning of a beautiful friendship.” (Humphrey Bogart, “Casablanca”)

  • ”Else”
    Der kaum erträgliche Schmerz des Loslassen-Müssens, die Agonie eines Abschieds für immer, und die Sehnsucht nach dem All-Ein(s)-Sein… ”Else” ist eine halluzinatorisch-multimorphende Phantasmagorie über das Sterben. Schwer beängstigend, tief bewegend, mit Bildern, nicht von dieser Welt.

  • ”Mermaid Legend”
    Eine traumverlorene Parabel über Verlust und Vergeltung, Sex und Tod, Glück und Geld, (Unterwasser-)Refugien und Rache. Die Frau als aus den Meeresfluten auferstandener, unerbittlicher Wassergeist. Fontänen von Blut, Tauchgänge wie das Schweben durch die Schwerelosigkeit. Höchster body count 2024!

  • ”Les pistolets en plastique”
    Gendarmerie gone gaga! Der Gute Laune-Hit und Muntermacher des Jahrgangs. Dialoge voller Absurdität und Aberwitz, skurrile Situationskomik und die beklopptesten flics seit Dupieux’ „Wrong Cops“.

Gut
“Good enough for Paul Newman, good enough for you!” (Dolph Sweet, “The Wanderers”)

  • ”Vampire humaniste cherche suicidaire consentant”
    Was macht blutjunge Liebe, wenn der Blutdurst nicht gestillt werden kann? Lakonisch-humorvoll, still-schüchtern, und doch die Herzen verzaubernd - Der feel good-Hit des Festivals. Wenn scheue Blicke mehr sagen als Worte, ein Song Euch in Verbundenheit gemeinsam einsam tanzen lässt, und das bleiche Mondlicht Dein zartes Glück bescheint. Ewige Liebe im Augenblick.

  • ”The Substance”
    Zwei Körper, ein Schönheits-Ideal. Coralie Fargeat arbeitet sich an ageism, Jugend-Wahn und der toxic masculinity von Tinseltown ab. Ätzend und zersetzend, pulsierend und penetrierend, Fleisch und Plastik, Neongelb und Blutrot. Ein wütend-wüster Alptraum von body horror und beauty norm.

  • ”A Different Man”
    Was sieht Edward, wenn er in den (sozialen) Spiegel blickt? Und was sehen Andere, wenn sie ihn anschauen? Schimbergs doppelbödig-böses Doppelgänger-Vexierspiel um Identität und Illusion, Biographie und Betrug, Projektionen und Positionen, Sein und Schein verbleibt nicht an der Oberfläche der Masken des Äusseren, sondern geht tief unter die Haut, und stellt uns bohrende Fragen über unser Selbstverständnis, die verunsichern und vergeunwissern. Diskursiv-multiple Metatextualität galore.

  • ”Steppenwolf”
    Nihilistische Misanthropie als schweigsames road movie. Eine grimmig-grausame Reise durch eine terra inhumana, in der Mitgefühl aufgehört hat, zu existieren. Endlose Weiten der kasachischen Steppe und eine innere Leere der Figuren. Kein Fluchtpunkt mehr am Horizont, keine Hoffnung mehr in den Herzen. Verlorene Menschen unter einem toten Himmel. Eine Welt ohne Erklären oder Verstehen. Vernichtung und Verdammnis.

Mittelmäßig
“You are not special. You are not a beautiful or unique snowflake.” (Brad Pitt, “Fight Club”)

  • ”Handling The Undead”
    Auf der Suche nach der geronnenen Zeit, oder „Trauer, der Film“. Ein eingefrorenes frame, ein kinematographisches Stilleben, eine Sterbe-Elegie in Zeitlupe. Nichts, rein gar nichts passiert hier, und dennoch wird Alles gesagt, auch und gerade im Nichtssagenden. Ein leises In-die-Stille-Hineinsprechen, das nicht Jede:r hören kann oder mag. Wortlos-weltverlorene Meditationen übers Nicht-mehr-(Da-)Sein.

  • ”The Well”
    Filmische Zeitreise in die 1980er. Als Du Samstag nachmittags in der Videothek die Regale durchstöbert hast, und die ausgefallensten Cover immer die mit den weirdesten Filmen waren. Da musste nicht immer Alles passen, oder Sinn ergeben - Hauptsache war, dass man beim Ansehen Spass hatte. Schöner oldskool-Italo-Schmodder, nach altem Hausrezept handgemacht. Schmeckt wie bei Mamma Markos! Bellissimo, tutto bene!

  • ”Blood Star”
    She’s on a road to nowhere… weiss es aber noch nicht. Wenn sich hinter der verspiegelten Sonnenbrille des Bezirks-Sheriffs nur Frauenhass und quälerischer Sadismus verbergen. Desert backwoods torture porn car chase. Kleiner gemeiner Genre-Bastard. Läuft nicht immer rund, hat aber genug drive und Tempo, um gut zu unterhalten. Das ist ja auch schon was.

Schlecht
“I’m starting to dislike you…a lot!” (Jack Starrett, “First Blood”)

  • ”Breathing In”
    Nicht nur eine endlose Nacht, sondern auch endlose Dialoge direkt aus der screenwriter’s hell. Laber Laber Rhabarber. Muss man nicht allzuviel dazu sagen, allerhöchstens, dass im Film selbst zwar andauernd geredet, aber trotzdem nichts gesagt wird. Arschlahmes Drei-Personen-Kammerspiel. Mindestens 'ne halbe Stunde zu lang. Viel Theater um so gut wie nichts.

“Wir raten ab!”
“Could be worse!” - “It’s worse!” (Carrie Fisher und Harrison Ford, “Star Wars”)

  • ”Strange Darling”
    Eine Grützwurst von Film, der sich total edgy und (pseudo-)cool vorkommt, bei all seinen albern-debilen Twists nur leider vergisst, auch irgendeine Art von Story zu erzählen. Aufdringlich-nerviger Inszenierungs-Stil. Ist das (noch) Genre, oder kann das weg? Uninteressant-unangenehmer Murks.

Hab’s auf dem Festival verpasst, möchte ich bei Gelegenheit nochmal nachholen

  • ”Kill”
  • ”Sleep”
  • ”Azrael”
  • ”Sayara”
  • ”Párvulos”
  • ”Interstate”
  • ”Maldoror”
  • ”Speak No Evil”

Hätte ich gerne auf BluRay (oder wenigstens DVD)

  • ”Else”
  • ”Skunk”
  • ”The Well”
  • ”Steppenwolf”
  • ”The Substance”
  • ”A Different Man”
  • ”Mermaid Legend”
  • ”Les pistolets en plastique”
  • ”Twilight of The Warriors: Walled In”
  • ”Vampire humaniste cherche suicidaire consentant”

Würde ich mir nichtmal anschauen, wenn man mir Geld dafür geben würde

  • ”Wake Up”
  • ”Dark Match”
  • ”Scared Shitless”
  • ”A Place Called Silence”
  • ”Hunters On A White Field”
  • ”She Loved Blossoms More”

Auf Nimmerwiedersehn!

  • ”Breathing In”
  • “Strange Darling"
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