Sodele, nun dann mal meine nachgereichten Seh-Eindrücke vom Wochenende, welches ich die meiste Zeit über im Kino verbracht habe (weshalb ich mich auch nicht früher zu Wort gemeldet habe):
Vermutlich stehe ich damit wieder mal allein’ auf weiter Flur (so wie der kleine Aslak, als er in die Wildnis geht, um seinen verschwundenen Hund zu suchen), aber ich muss hier jetzt mal eine Lanze für „Valley of Shadows“ brechen… der wird vermutlich den Meisten wieder nicht zusagen, weil ja die ganze Laufzeit über so gut wie nichts passiert, aber mir hat der außerordentlich gut gefallen. Schwer beeindruckende und exzeptionell gut fotografierte Landschafts- und Naturaufnahmen (windgezauste Bäume, stockdunkle Wälder, nebelverhangene Wasseroberflächen), die oft schon mystisch-poetische Qualität haben und in kongenial harrmonierender Verbindung mit dem von Krzystof Kieslowskis ehemaligem Hauskomponisten Zbigniew Preisner komponierten, an- und abschwellendem Orchester-Score eindrucksvoll und nahezu perfekt das seelische Innenleben des kindlichen, traumverloren durch eine trist-karge Welt, die kaum je wirklich Notiz von ihm zu nehmen scheint, irrenden Protagonisten (dessen Schauspieler es doch tatsächlich gelingt, mit eigentlich nur einem einzigen Gesichtsausdruck, aber einer irren Präsenz den ganzen Film quasi im Alleingang zu tragen) versinnbildlichen. Die mythische, zwischen Angst, innerer Anspannung, Trauer und Einsamkeit pendelnde Traumreise, welche im Zentrum des Films steht, hat mich in einigen Szenen vor Spannung kaum atmen lassen, und die wunderbar mit Licht und Schatten spielenden Bilder mühelos in in ihren Bann gezogen. Ganz tolle, sehr atmosphärische Bebilderung kindlicher Erlebens- und Erfahrenswelten. In emotionaler Hinsicht wohl neben „American Animals“ und „Border“ (die aber erst mit einigem Abstand folgen) bislang wohl der Film, welcher mich ganz tief drinnen am Meisten berührt hat.
„Under The Silver Lake“ - tja, da weiss ich auch nach gut eineinhalb Tagen noch immer nicht so wirklich, was ich davon halten soll. Liebe auf den ersten Blick, so wie damals beim kleinen feinen Indie-Hit „It follows“, ist es jedenfalls nicht, eher erstmal so ein vorsichtiges Beschnuppern und näheres Kennenlernen, aber durchaus unter sympathiebehafteten Vorzeichen, und in locker-ungezwungener Atmosphäre. Die absurd-abgeschrägte Schnitzeljagd des wuschelköpfigen Schluffi-Schnuckels Andrew Garfield (der seine Sache wirklich ausserordentlich gut macht, als deppert-drömeliger Slacker von nebenan, welcher von einem Fettnäpfchen ins nächste stolpert und den ganzen Film weder so recht zu wissen scheint, wie ihm geschieht, noch, was er eigentlich (vom Leben, dem Universum und dem ganzen Rest) überhaupt will) durch ein mal sonnendurchflutetes, knallbunt glitzerndes, mal finster nachtschwarzes Los Angeles, in welchem Popkultur im Allgemeinen und Filmindustrie im Besonderen ein Eigenleben zwischen temporärer Wunscherfüllung und persönlichen Alpträumen zu führen scheinen, steckt voller skurriler Momente, seltsamer Begegnungen, verschrobener Charaktere, Konzerten und Parties somewhere between Heaven and Hell, kleiner und großer Rätsel, Sackgassen, Straßen und Tunnels, die ins Nichts führen, Ausblicken, die nichts offenbaren, oder vielleicht auch Alles, weil es garnichts mehr zu offenbaren gibt, und Alles schon offen darliegt, ohne dass wir das überhaupt je bemerken würden - wer weiss das schon so genau? Denn, und das ist wohl auch einer der Hauptpunkte des Films, unter all den Ablagerungen und Schichten von Jahren und Jahrzehnten nordwestlicher Popkultur, zwischen all den Artefakten, Comics, Zeitschriften, Filmen und Schallplatten, scheint das Individuum sich selbst und der Authentizät seiner Leidenschaften und Vorlieben, kaum noch gewiss zu sein. Sams Suche oszilliert zwischen der Frage des „Life, but how to live it?“ und der Sehnsucht nach einer Unschuld (verkörpert einerseits durch seine ständig im Bikini herumlaufende Nachbarin, andererseits durch eine Hollywood-Schauspielerin der 1920er Stummfilmära), die es nicht mehr zu geben scheint, die es vielleicht (vermutlich) nie gegeben hat, die nur das Ergebnis einer Industrie ist, welche es sich als Credo gesetzt hat, eine „Traumfabrik“ zu sein, und deren Produkte dabei bei ihren Rezipient_Innen eine endlose Spirale in Gang setzen, ein immer-mehr/ immer-neu, die sich nie erschöpft, aber eben deshalb auch nie Befriedigung erfahren kann. Nachmittäglicher Gelegenheits-Sex unter Kurt Cobain-Postern, Sich einen runterholen auf alte Playboy-Cover, hitchcockscher Balkon-Voyeurismus, das Besuchen von Parties, auf denen man eigentlich gar nicht sein will, die Begegnungen mit Schauspielerinnen, von denen man ob ihrer Ausstaffierung lieber garnicht so genau wissen will, für welche Art von Filmen sie sich so kostümiert haben, oder die als Nebenjob der Sexarbeit nachgehen - all das ist und bleibt nur ewiges Innuendo, leeres Ennui. Die Sehnsucht als solche ist eben zuallererst und immer noch eine Sucht, ein ewiges Sich-Selbst-Betrügen, Betrogen-werden-Wollen, und der Moment, in dem man erkennt, dass man die ganze Zeit einem selbst geschaffenen Trugbild, einer Fata Morgana aufgesessen ist, kann dann durchaus einer sein, in welchem man per Video Phone mit einem Mädchen spricht, welches man die ganze Zeit (nicht ganz so) verzweifelt gesucht hat, und die nun Sätze sagt wie aus einem Film, der vor langer, langer Zeit gedreht wurde, und man selbst Tränen in den Augen hat, während man ihr dabei zusieht. In diesem Sinne stellt „Under The Silver Lake“ auch die Frage an uns, die wir íns Kino gehen, um ihn uns anzusehen, was wir uns denn davon erhoffen, warum wir denn überhaupt Filme schauen. Wenn Filme zu sehen, so ist, wie mit offenen Augen zu träumen - wovon träumen wir dann, und was bedeutet uns dieser Traum, auch über ihn selbst hinaus - nach dem Aufwachen (= Verlassen des Kinos)?
Doch, ich glaube, ich mag „Under The Silver Lake“… ich muss ihn nur noch ein bisschen besser kennenlernen. Versuchen, einen Sinn in ihm zu finden. Wenn er das denn zuzulassen gewillt ist.
Nur, um dann vermutlich festzustellen, dass ich im Grunde genommen nur versuche, mich selbst über ihn besser kennen zu lernen.
Noch so eine Sisyphos-Arbeit.
P.S.: Die ganzen Vergleiche mit David Lynch / „Mulholland Drive“ kann ich nur bedingt nachvollziehen… zugegeben, der Film hat ein paar Lyncheske Gewaltausbrüche, und beide Filme spielen in L.A. / handeln vom Verlust des Ich / einer Identitäts- und Sinnsuche, die Stimmung / Atmosphäre / Erzählhaltung der beiden Filme sind dann aber doch nochmal komplett unterschiedlich. Wenn ich schon mit Vergleichen hantieren müsste: Mich hat das Ganze dann doch eher an „Inherent Vice“ meets The Big Lebowski" erinnert…
Und auch wenn im Abspann nur gezeichnete Bilder vorkommen : Besonders empfindliche Hundeliebhaber_Innen sollten eventuell vorher schon gehen (der Dog Killer hat sich Einiges einfallen lassen…).
"Satan’s Slaves war dann zum Abschluss des Abends ein schöner, stimmungsvoller Oldschool-Gruselfilm, der mehr auf creepy Atmosphäre und wohl platzierte (Er-)Schreckmomente setzt als mit krassem Gedröhne und überdeutlichem Alles-weg-Schocken zu nerven. Klar erfindet der nix neu, ist null innovativ, war aber schön düster abgefilmt, hatte eine ausnehmend unheimlich Location zu bieten (in einen so verranzten Dusterkeller würde ich mich vermutlich sogar tatgsüber nur mit klopfendem Herzen hineinwagen) und solange die jump scares, auch wenn man vorher ganz genau weiss, wann sie kommen, mir eine wohlige Gösselpelle ( = norddeutsch für Gänsehaut) from back to toe verursachen, ist im Grunde genommen Alles gut. Nur gegen Ende hin fiel der etwas ab, der eine letzte Twist hätte nicht sein müssen, und dann hat er’s auch noch etwas zu sehr mit der Brechstange versucht / im Finale zu dick aufgetragen. Da wäre weniger durchaus mehr gewesen.
„The Inhabitant“ wird wohl nicht Allzuviele begeistern, denn auch der erfindet sein Subgenre, den Exorzismusfilm, nicht neu, und ist darüberhinaus auch null unheimlich / gruselig. Klar, dass sich die Charaktere mal wieder bis an die Grenzdebilität dumm verhalten müssen, und auch immer genau das tun, wovon ihnen gerade eben noch Alle gesagt haben, dass sie es doch bitte bitte um Himmels Willen (das kann man hier durchaus wörtlich nehmen) nicht tun sollen. Und das minutenlange Aufsagen irgendwelcher tatsächlichen oder auch nur erfundenen Bibelpassagen auf Latein dürfte wohl auch nicht allzuviele Zuschauer_Innen entzückte Jubelschreie ausstossen lassen. Ich fand’ den aber trotzdem überraschend stark, als krasse Abrechnung mit der scheinheiligen Heuchelei und bigotten Verlogenheit (und schönen Tritt vor’s Schienbein) der katholischen Kirche einerseits, und Thematisierung von Misogynie / Gewalt gegen Frauen / sexuelle Misshandlungen (was ja in Mexiko ein gewaltiges soziales Problem darstellt) andererseits. Und dass die Hauptfigur Maria heisst, dürfte wohl auch kein Zufall gewesen sein. Der Twist ganz am Ende war allerdings schon von Anfang an absehbar. Dennoch, schöner Film und gutes Mittelmaß. Und von dem schönen Song „El pecador“ von Enrique Guzmán habe ich immer noch einen Ohrwurm. Wollt Ihr auch? Kein Problem - bitteschön!
„The Golem“ hat dann seine Themen (Antisemitismus / Judenhass und -verfolgung sowie Mutter-Kind-Liebe) teils mit doch sehr dicken Pinselstrichen skizziert und zumindest letztere Thematik bis zum Ende hin nicht so wirklich in den Griff bekommen. Dennoch konnte ich auch diesem Film noch Einiges abgewinnen (vor Allem auch, was die Frage nach Mutterschaft ohne Schwangerschaft angeht), und war durchaus nicht unzufrieden mit dem Kinobesuch. Können ja auch nicht alle Festivalfilme Gold oder Platin sein, ne? Für Bronze hat’s aber gerade noch so gelangt, jedenfalls bei mir. Die Kameraarbeit und der Schnitt waren eher unspektakulär bis nicht weiter erwähnenswert, und die extrem schlechten CGI haben der Stimmung der jeweiligen Szenen eher geschadet als genützt. Und die Moral von der Geschicht’? Die Kabbalah ist für Frauen nicht! (das stimmt zwar nicht, aber reimt sich einfach zu schön, als dass ich mich hätte zurückhalten können…)
„American Animals“ ist ein wilder, stylisher Mix aus heist thriller, Charakterstudie, Zeitgeist-piece und Dokudrama, und funktioniert mit seiner Montage von Interview-Szenen mit den „echten“ Beteiligten (die so manches mal auch in die Filmszenen „überwechseln“ und dann mit den sie selbst darstellenden Schauspielern interagieren) und der sich erst gemächlich, später dann rasant entwickelnden Geschichte über ein erst nur als fantastische Idee imaginiertes Verbrechen, welches dann im weiteren Verlauf (nicht ganz so) detailiert geplant und vorbereitet, und letztendlich auch tatsächlich ausgeführt wird (mit katastrophalen Folgen für alle Involvierten, besonders aber für eine Bibliothekarin, die Opfer der Bande wird), überraschend gut. Sowohl die Kamera-Arbeit als auch der Schnitt sind superb, schön auch, dass über verschiedene filmische Stilmittel und kleine erzählerische Kniffe Authentizität und Verlässlichkeit sowie das (re-)konstruktive Element im Prozess des Erinnerns der diversen Charaktere bildhaft in Frage gestellt werden. Toller Streifen über die Diskrepanz zwischen herbeifantasierter Wunschvorstellung und brutaler Realität im Leben von vier Kids, die einfach nur etwas tun wollten, das sie irgendwie „besonders“ macht, ohne dabei zu bedenken, dass jede Handlung im Leben Konsequenzen hat, und sich die Realität nicht einfach wie ein Film zurückspulen und neu denken lässt.
Für „Border“ muss ich jetzt erst einmal, bevor ich überhaupt irgendwas zum eigentlichen Film schreibe, eine !!! Triggerwarnung !!! aussprechen, die Alle, welche vorhaben, sich den Streifen anzusehen, vorher eventuell anklicken sollten. Ich werde das Ganze in Spoiler packen, es hat auch mit der eigentlichen Geschichte nur am Rande was zu tun. Und auch wenn die betreffende Thematik sehr behutsam abgehandelt wird und dankenswerterweise nie wirklich gezeigt wird, so möchten sich doch vielleicht nicht Alle damit konfrontiert sehen. Ein Subplot des Films hat sexuelle Gewalt gegen Kleinstkinder (Babys) zum Thema.
Ich wusste vorab nichts, aber auch garnichts über „Border“, habe keine einzige Zeile dazu gelesen, keinen Trailer gesehen und war dementsprechend völlig „unvorbelastet“ in den Film gegangen… und würde dasselbe auch Anderen anraten. Je weniger Ihr vorher wisst, desto besser für die eigene Rezeption. Nichtsdestotrotz werde ich jetzt doch einige Zeilen dazu schreiben. Wer den Film noch sehen mag, sollte also vielleicht besser nicht weiterlesen. „Border“ braucht anfangs eine ganze Weile, um in die Gänge zu kommen, und sein Rätsel (was ja auch das der Identität der/des Protagonist/In ist) entfaltet sich erst nach und nach ganz allmählich. Das still beobachtete, schlicht fotografierte und einfühlsam erzählte Aussenseiter_Innen-Drama um eine Person, die weder weiss, wer oder was genau sie eigentlich ist und sich in der Gesellschaft, in der sie lebt, nicht wirklich zuhause fühlt, lässt sich erfreulicherweise jede Menge Zeit, bis es zum Kern des Ganzen vorstösst. An diesem Punkt tritt dann auch die vorher bereits mehrfach angerissene Transgender- / Intersex-Thematik deutlich zutage und wird dann mit weiterem Fortschreiten der Geschichte immer mehr problematisiert, gerade auch was viele Intersex-Biographien anbelangt (körperliche Verstümmelung als Kleinkind, elterliches Belügen der eigenen Kinder über ihre sexuelle Identität, etc. pp.), und manifestiert sich dann in einer Sexszene, die vielleicht nicht Jede_R in der gezeigten Deutlichkeit so sehen möchte (ich hatte damit zwar keine Probleme, aber hier in Hamburg gab’ es währenddessen in den Reihen um mich herum doch einige eher unschöne Reaktionen zu vernehmen (nervöses Gekicher, abwertende Kommentare und ungläubiges Geraune)). Die narrative Verknüpfung von (nicht nur) sexueller Identität / Selbstbestimmung und der bereits in der Triggerwarnung angesprochenen sexualisierten Gewalt gegen Kleinkinder empfand ich teilweise als etwas sehr gewagt / nicht ganz unproblematisch (trotz der Tatsache, dass ja auch vielen Intersexen in ihrer frühesten Kindheit bis in die Jugend hinein sexuelle Gewalt durch das medizinische System angetan wird (hier empfehle ich für weitergehend Interessierte die ganz hervorragende Doku „Das verordnete Geschlecht“)), tut dem Film als Ganzes in seiner leisen Sachtheit aber dennoch keinen Abbruch. Zudem basiert „Border“ ja auch auf einer Kurzgeschichte von John Ajvide Lindqvist, dem Autoren von „So finster die Nacht“, und wer das Buch kennt, weiss, dass auch in der literarischen Vorlage zu „Let The Right One In“ sexuelle Gewalt gegen Kinder ja bereits ein Thema war (etwas, das der Film dankenswerterweise weitestgehend ausspart und nur in einer einzigen Szene kurz gezeigt / abgehandelt wird).
„Border“ ist ein ganz wunderbar erzähltes, auf leisen Sohlen daher kommendes, aber dann umso ergreifenderes Drama über die Suche nach der eigenen Identität, dem longing to belong (= Wunsch nach Zugehörigkeit) und die Notwendigkeit, seinen eigenen Platz in der Welt zu finden, trotz aller Verunmöglichungen von seiten einer Gesellschaft, die Eine_N nicht so zu akzeptieren gewillt ist, wie man nun mal eben ist. Und als solches ein mehr als würdiges Centerpiece.