Oh Mann - schon die zweite Nacht, in der ich nach knapp fünf Stunden Ruhephase mir nichts, Dir nichts erwache, und dann nicht wieder zurück ins Reich der Träume finden kann… Das nimmt mich ziemlich mit, alldieweil it does no good to my analytical mind. Aber egal, ich zieh’ das jetzt trotzdem durch, mit dem Samstags-Resümee…
„When someone would kill you, you just wouldn’t die!“
Zum Einstieg in meinen ersten „richtigen“ Festivaltag (denn am Freitag sah ich ja nur einen Film) dann also der japanische Klassiker „Ningyo Densetsu“ (a.k.a. „Mermaid Legend“) aus den 80ern. Ein wirklich schöner Auftakt ins FFF-Wochenende, und mit seiner verwunschen-verzauberten Atmosphäre perfekt programmiert für einen entspannten Nachmittags-slot. Die in unnennbarer Trauer schwelgende, seltsam entrückt wirkende Geschichte um schmerzhaften Verlust, lebensmüde Verlorenheit und blutige Rache nahm sich alle Zeit der Welt, um sich ganz langsam und sacht vor unser Augen zu entfalten, ehe es dann im Finale aber mal so richtig zur Sache ging. Nun habe ich - meines Wissens nach - bislang noch keinen roman porn gesehen, im Laufe der letzten zwanzig Jahre wohl aber diverse pinku eiga (das JapanFilmFest Hamburg hatte dazu Anfang / Mitte der Nullerjahre mal eine Sonder-Reihe im Programm, da habe ich damals diverse Filme mitgenommen, und danach dann immer mal wieder den einen oder anderen pinku mit im Programm). Das Tolle an diesen Filmen ist ja, dass die produzierenden Studios den Regisseur(:Inn?)en meist so gut wie keinerlei Vorgaben machen, was den Inhalt und / oder die Form angeht, solange nur ein bestimmte Anzahl von (Soft)Sex- und Nacktszenen (meist so um die drei bis vier) im fertigen Endprodukt auftauchen… was das pinku-Genre zu einer unglaublich vielfältigen Spielwiese für angehende und auch etablierte Regie-Talente macht. Ich hab’ da wirklich schon alles Mögliche und auch Unmögliche goutieren dürfen - Streifen, die sich mit dem Mitte der 1900er erfolgten Sarin-Giftgas-Anschlag der Ōmu Shinrikyō-Sekte aufs Tokioter U-Bahn-Netz und daran anschliessend mit der Vergänglichkeit des irdischen Daseins und der Flüchtigkeit von Sinn und Erinnerung auseinandersetzen, Filme, in denen eine Frau mittleren Alters von einem Teenager (ich glaub’, die war Lehrerin, und er ihr Schüler, weiss aber nicht mehr so genau) an öffentlichen Orten zu exhibitionistischen Handlungen erpresst und genötigt wurde, und die darüber die soziale Vereinzelung und emotionale Verkapselung in der japanischen Gesellschaftsordnung thematisierten, und dann auch noch „Raigyo“, der mit Sicherheit zu den radikal-nihilistischten, trist-trostlosesten Filmen gehört, die ich jemals gesehen habe. Wer von Euch mal etwas wirklich hoffnungslos Niederschmetterndes und nachhaltig extrem Verstörendes sehen möchte, die:der sollte sich diesen Streifen mal zu Gemüte führen. Aber sagt nachher nicht, ich hätte Euch nicht zuvor gewarnt! Gibt’s übrigens auch für relativ wenig Geld beim südamerikanischen Regenwaldgebiet und andernorts zu mailordern…
Sei’s drum, zurück zum eigentlichen Thema: Denn auch „Mermaid Legend“ erzählt rund um seine wenigen Darstellungen von Koitus herum eine sehr eigene und eigenwillige Geschichte. Wie die Kamera hier ungeheuer behutsam und fast schon zärtlich den weiß gewandeten Körper der Hauptdarstellerin bei ihren Tauchgängen auf der Suche nach Muscheln, die sie zwecks Sicherung des gemeinsamen Lebensunterhalts zusammen mit ihrem Ehemann an Land zu verkaufen gedenkt, abfilmt und umschmeichelt, als wolle sie diese vor allem Unheil, das da noch kommen mag (und auch wird), beschützend in die Arme nehmen, das hat etwas überaus anrührend Poetisches, schlafwandelnd Traumverlorenes. Wie überhaupt die ganze stumme, aber dennoch in luziden Bildern von fast ausserweltlicher Schönheit zu uns sprechende Unterwasserszenerie als ein eigenes (Traum)Reich für sich, in dem alle Schmerzen und Gefahren meilenweit weg zu sein scheinen, geschildert wird. Und trotzdem bricht irgendwann auch in die Abgeschiedenheit dieser unterseeischen Idylle der Schrecken und die Gewalt der Oberwelt ein - wenn der harpunierte Körper von Migiwas Ehemann ganz langsam zum Meeresboden herabsinkt, dann ist auch die Brutalität des big business, dessen Firmenchefs und kaltherzig agierende Handlanger keinerlei Gnade walten lassen bei ihren Bestrebungen, gegen was für Widerstände auch immer, eher so semi-legal ein Kernkraftwerk an ebendem Küstenstreifen, welcher den Fischer:Innen des kleinen Örtchens als Fanggebiet dient, zu errichten, im zuvor unberührten Zufluchtsort under the sea angekommen. Einer kurzen Phase der introvertierten Trauer und sozialen Entwurzelung folgt alsbald Migiwas unumstösslicher Entschluss, sich an den Mördern ihres Gatten, und Allen, welche diese Tat durch ihr passives Zusehen und Unterlassen haben geschehen lassen, zu rächen… koste es, was es wolle. Wie Hauptdarstellerin Mari Shirato hier die eingangs resolut-praktische Ehefrau, später dann auf sich selbst zurückgeworfene, emotional verschlossene Witwe und schlussendlich gnadenlos entschiedene Rächerin verkörpert, das ist einfach nur die Wucht in Tüten! Allein schon ihr traurig-verlorener, gleichzeitig tief in sich selbst gekehrter und dann aber auch unendlich bekümmert ins äussere Nirgendwo schauender Blick hebt ihre performance nochmal auf ein ganz anderes Level. Wow, einfach nur wow! Schön auch, wie jede einzelne der durchaus auch interessanten Nebenfiguren (die resolute Bordell-Chefin, das ältere Ehepaar, und und und) ihren eigenen kleinen Moment zugestanden bekommt und sinnvoll in das narrative Geflecht eingebunden wird (das sollten wir später am Tag (I’m looking at you, „The Substance“) ja auch noch weitaus Schlechter erleben). Die sich daran anschliessenden Gewalt-Exzesse als Akt der gegenläufigen Penetration (nämlich des männlichen Körpers) und blutiger Ejakulation gleichen das aber mehr als wieder aus. Toll auch die ja schon aus anderen japanischen (S)Exploitation-Klassikern der Ära bekannten Krach-Zisch-Laute, wenn der menschliche Körper aufgebrochen wird, und das Blut Geysir-haft rauschend, in einem rubinroten Schwall fontänenhaft sprudelnd herausspritzt. Roman Porn goes „Lady Snowblood“, if you will. Aber auch an die „Sasori“-Filme („Female Prisoner Scorpion“) habe ich mich stellenweise leicht erinnert gefühlt.
Die Sexszenen… nun ja, die sind eben auch noch da. Hätt’s jetzt für mich selbst zwar nicht unbedingt gebraucht, allein schon, weil sie - wie (zu) oft bei den Japanern - ja auch schon wieder ins Gewalthaft-Erzwungene abzugleiten drohen (wobei das bei ersten Szene aber auch ganz gut gepasst hat, weil ich es für Migiwa auch als Ventil empfand, den Schmerz und Verlust über den Tod ihres Mannes herauszulassen, und diese Emotionen ob des doch sehr rauhen und rohen Beischlaf-Exzesses zu kanalisieren). Auch diese seltsam anmutenden körperlichen Verrenkungen, so als sei der weibliche Körper bloss eine Puppe, und die leicht komischen femininen spasmischen Zuckungen und physischen Konvulsionen wirken auf mich oft doch recht befremdlich. Macht aber weiter nix, passt scho’! Und die Zensur-bedingt aus-geblurred-ten Intimbereiche ist man ja mittlerweile schon gewohnt. Unnötig doof find’ ich’s aber dennoch!
Das Finale… je nun. Wenn Migiwa im unbarmherzigen Blutrausch die Gegnerhorden gleich massenweise und zu gefühlt Hunderten abschlachtet, fünf Männer gleichzeitig sie niederringen und schon am Boden haben, und sie dann aber doch alle von ihnen mit nur einer leichten Wischbewegung des Arms mittels ihrem in mühsamer Handarbeit auf dem Beton der Strandwegs-Platten geschliffenen Fischspeer tötet, dann hat das schon etwas reichlich Absurdes und over the top-Haftes. Gehört aber halt auch unverzichtbar dazu, und muss irgendwie auch genau so und nicht anders! Interessant auch die Gleichsetzung der Frau mit dem Element Wasser, nicht nur anhand der schon weiter oben ausgiebigst gewürdigten Tauchszenen. Ganz gleich, wie oft Migiwa von den Klippen geworfen, mit Harpunenpfeilen angeschossen oder zu ertränken versucht wird, sie will einfach nicht sterben! Wie eine Art Wassergeist oder Meeresdämon taucht sie jedes Mal beinahe unversehrt wieder aus den Fluten auf, um ihr blutiges Handwerk unbeeindruckt fortzusetzen. Was dann im Finale beinahe schon metaphysische Züge annimmt, wenn sie, einer Wind-und-Wasser-Gottheit gleich, mittels eines heraufbeschworenen Meeressturms die angerückten Polizei-Hundertschaften einfach mal eben so von der Bildfläche hinwegfegt. In Verbindung mit dem wirklich wunderbaren Soundtrack, der mir einen veritablen Ohrwurm bescherte, hat das also schon etwas verträumt Märchenhaftes… und auch Märchen handeln ja oft von Sex und Gewalt, und enden meist blutig-brutal. Ein echtes Gedicht von einem Film, und höchst erfreulich, dass der nach Jahren, in denen er als unrettbar verloren und verschollen galt, wiedergefunden wurde, und somit neu entdeckt werden kann. Und tausend Dank an die Rosebud-dies, dass sie so eine kostbare (Muschel-)Perle mit ins Programm aufgenommen haben. Für mich der schönste Film des ganzen gestrigen Tages!
Ich leg’ jetzt erstmal 'ne kurze Pause ein, und bin dann nachher wieder zurück mit „Blood Star“ und „The Substance“.