FFF 2024 - Fantasy Filmfest

„I’m a Sparkle Girl / In a fucked up world / Life in Plastic / It’s fantastic!“

Den krönenden Abschluss des Abends sollte dann also Coralie Fargeats mit jeder Menge Vorschuss-Lorbeeren, Jubelperser-reviews, Lobeshymnen und Filmkritik-Ehrerbietungen bedachtes Zweitwerk „The Substance“ darstellen… Tja, ich hab’s ja in der vergangenen Nacht schon angedeutet: Die Krönungs-Zeremonie musste leider kurzfristig abgesagt werden - ganz im Gegensatz zur Live-Ausstrahlung der TV-Neujahrsshow… :wink: Denn die Kandidatin erwies sich letzten Endes als der Bürde und Verantwortung des monarchischen Amts des royal-höchstgeadelten Genre-Films des Jahres dann doch nicht so ganz gewachsen und würdig. Allein: Woran lag’s? Nun ja, das vermag ich auch nach einer (wieder mal viel zu kurzen) Nacht des Drüber-Schlafens und das (Gefühltes-)Debakel-Sacken-Lassens immer noch nicht so ganz zu sagen… Stilistisch, von den blossen Schauwerten her, in Sachen phänomenal auf den Punkt gebrachten Schnitts, vom spektulären Sound Design her, der superben Kamera-Arbeit und den tollen Kostümen, dem herausragenden Set Design und der in wahnsinnig liebevoller Handarbeit gemachten prosthetics, war und ist „The Substance“ absoluter state of the art, und in diesem Jahrgang unter Garantie nicht mehr zu toppen. Nur, was hilft all das, wenn aber das letzte Quentchen zum großen Wurf fehlt, wenn der Streifen in seiner heisskalten Machart dennoch nicht wirklich mitzureissen und emotional zu begeistern weiss, und dann auch einer inhaltlichen Überprüfung, eines narrativen Auf-den-ausfallenden-Zahn-Fühlens nicht standzuhalten vermag, und es - all seiner exquisit abfotografierten Bilder von Essen, Speisen und Mahlzeiten zum Trotz - an der gebotenen Menge food for thought aber gehörig mangeln lässt? Wenn man sich zwar an den glänzend-funkelnden Oberflächen delektieren kann, aber, sobald man in die Tiefe gehen möchte, alsbald an allzu offensichtliche Grenzen stösst. Wenn sich zwar die Körper häuten und vervielfachen, in pervers anmutenden Akten auseinander heraus quellen, die narrativen Tropen und Sujets aber stur bei sich bleiben, und keinerlei erzählerische Transformationen sich erkennen lassen? Wenn Fargeat bei all ihrer Hingabe an den style dann irgendwo zwischendurch aber doch die substance vermissen lässt?

Kommen wir vielleicht erstmal zu den schauspielerischen Leistungen. Demi Moore ist keine sonderlich bedeutende oder gar exzeptionell hervorstechende Schauspielerin, das wissen wir, das weiss Fargeat, das weiss sie vermutlich auch selbst. Wie sie sich hier aber mit Verve, Bravour und verblüffender Furchtlosigkeit in ihre Rolle wirft (welche vermutlich auch stark von ihrer eigenen filmischen Biographie / Hollywood-Karriere eingefärbt sein dürfte), und Alles, aber auch wirklich Alles gibt, das ist schon überaus mutig, und verdient alle Anerkennung. Auch Margaret Qualley als Klon-Version ihres jüngeren Selbst spielt recht beeindruckend, wenn sie auch meist nicht viel mehr zu tun hat, als pseudo-unschuldig naiv in die Kamera zu lächeln und zu zwinkern, und ihren jugendlich-elastischen Körper in absurden (Sex-)Aerobic-, wir sollten wirklich besser sagen: Sexrobic-Posen zu verrenken und verbiegen. Dennis Quaid als schmierig-speckiger, übertrieben-jovialer TV-Produzent Harvey ist so dermaßen anwidernd over the top,das man ihn und seine performance nur angeekelt hasslieben kann. Auch das restliche Ensemble liefert gut ab, die Nebenrollen sind passend besetzt und stimmig umrissen - werden aber nur leider ein ums andere Mal lieblos-abkanzelnd verschenkt (der alte Schulkamerad, der heimlich in Elisabeth verknallt ist, und ihr seine Telefonnummer gibt; Oliver, der nervend-penetrante Nachbar von gegenüber auf dem Gang; der Krankenhauspfleger, welcher Elisabeth den ganzen Schlamassel ja erst einbrockt - sie Alle tauchen kurz mal auf, wenn das Script sie dringend braucht, und dann genauso schnell wieder ab). Aber so recht zusammen finden wollen weder cast, noch Doctor Sparkle und Miss Sue, oder Drehbuch und Erzählung, und erst recht nicht direktorialer Anspruch und filmgewordene (Alternativ-)Wirklichkeit. „The Substance“ fällt - bei aller scheinbaren Grandezza seiner einzelnen Teile - immer und immer wieder auseinander, beständig klafft da eine Lücke der Disparatheit auf, deren einzelne Komponenten sich auch nicht so einfach wieder miteinander vernähen lassen wie die Rückenpartie von Frau Sparkle - beziehungsweise wenn doch, dann ist das zumindest mal kein allzu schöner Anblick. Womit wir dann auch beim Hauptthema des Films wären: Schönheit, und was wir (was Frauen) dafür halten, was uns (und ihnen) als solche verkauft (<— hier bitte wortwörtlich nehmen / lesen) wird, und was die Diskrepanzen zwischen wahrgenommener Eigenschau und erhoffter Wunschvorstellung mit uns machen. Und was genau dasjenige Themenfeld ist, auf dem Fargeat zwar einige Denkprozesse anstoßen möchte, damit aber nicht so wirklich weit kommt. Nehmen wir zum Beispiel mal die schon erwähnte, kaum wirklich in „unsere“ gegebene Lebens- und Alltags-Realität zu übersetzende Sexrobic-Mitmach-Fernseh-Show. Unschwer zu erkennen ist hier, dass Fargeat das Ganze als Pornografisierung der Darstellung weiblicher Körper in den medialen Wahrnehmungs- und Erfahrungswelten des 21sten Jahrhunderts in Szene setzt. Die pórnē als öffentliche Hure, als Frau, die jeder(mann) haben kann (nach Andrea Dworkin, die zwar viel Kritikwürdiges daraus abgeleitet und gefolgert hat, deren Ursprungsgedanke aber dennoch brillant und zutreffend ist), und auch in „The Substance“ jeder(mann) haben will („They all love you, they all want more of you!“) wird hier als auf ihre bloße Körperlichkeit reduziertes Objekt dargestellt, keine individuell-subjekthafte Wesenheit mehr, sondern ein oberflächenhaftes Ding, dessen Anblick (in der üblichen inszenatorischen Verfahrensweise der Pornografie) den Betrachter:Innen Lustgefühle verschaffen soll. Durch den von Fargeat erzeugten plastikhaft-artifiziellen look bei der Inszenierung von Körper(lichkeit) aber, der uns beim Betrachten verunsichert und verstört, weil es eben nicht die gewohnte und erwartete Art von körperlicher Oberfläche ist, wird dieser Lustgewinn unterlaufen und verunmöglicht. Der Effekt ist eher der, dass Einer:Einem bei Betrachten dieses „life in plastic“ eine verunsichernde Mulmigkeit, ein leichte Übelkeit erzeugender Schwindel, ein digestives Unwohlsein überkommt. Fargeat erzeugt hier also eine Art „uncanny valley“ der Pornografie als misogyn-sexistischer Darstellungsform, welcher ebendiese Misogynie und inhärenten Sexismus als solche(n) entlarvt und bloßstellt. Das Problem ist nur: Der Film kommt dann nicht weiter darüber hinaus. Er schlussfolgert rein gar nichts mehr, er setzt zwar diesen Ansatzpunkt, ein System anhand dieser Symptomatik zu dekonstruieren - und tut es dann aber einfach nicht. Er setzt den Hebel an, und drückt dann aber nicht, lässt die Hebelwirkung nicht nur nicht verpuffen, sondern macht erst gar keine Anstalten, diese überhaupt nutzen zu wollen. Stattdessen verweist er das zugrunde liegende Problem beinahe in Gänze wieder zurück an das Individuum, an Elisabeths Wunsch, von Allen / möglichst Vielen bewundert und geliebt zu werden. Und auch hier wieder die Problematik zwar aufzuzeigen (das Geliebtwerden(-Wollen) um der Schönheit, bzw. der sozial erzeugten und individuell verinnerlichten Imago davon, was Schönheit denn ist / sein soll, und nicht um Einer selbst willen), aber dann sich schlichtweg zu weigern, daran weiter zu arbeiten. Stattdessen erzählt er uns die tragische / tragikomisch dramatische Farce einer einsamen Frau, die am Ende (wortwörtlich) an sich selbst zerbricht. Und das genau auf ihrem eigenen „Walk Of Fame“-Stern. Sodass wir hier in der finalen Einstellung tatsächlich einen zweiten „Blood Star“ vor uns sehen. Und wir - trotz aller konsequent verfolgten eigenen Vision und Chuzpe, trotz aller Unbekümmertheit um den (vermeintlich guten) Geschmack Anderer und dem Pfeifen auf die Meinung von Dritten - mit dem unbefriedigenden Gefühl in die Nacht entlassen wurden, dass da noch soviel mehr hätte drin sein können, nein, drin sein müssen!

Vielleicht tue ich dem Film ja auch unrecht, vielleicht will „The Substance“ das Alles ja auch wirklich nicht, und möchte weiter nichts sein als ein bewusst den Mut und Willen zur eigenen Monstrosität ausstellendes hässliches Genre-Entlein, ähem, deformiert-verwachsener, sich selbst entstellender und auf seine eigene Entstelltheit als radikaler Gegenentwurf zu normativ-sexistischen Schönheits-Idealen und (gerade und vor Allem unter Frauen) grassierendem Jugendlichkeitswahn beharrender und auf sie trotzig stolz seiender Horror-Bastard. Aber dann ist mir das trotzdem und immer noch zu wenig, nicht überzeugend und vereinnahmend genug. Zumal nicht nur der französische Film als solcher (in den gleichzeitig subtil-subversiv eigene Erwartungen, Konventionen und soziokulturelle Normen unterlaufenden und schamlos-offensiv vorgebrachten Bildwelten einer Julia Ducournau beispielsweise, oder auch schon vor fast fünfundzwanzig Jahren in der konfrontativ-tabulosen Radikalität von Virginie Despentes zu Unrecht mittlerweile fast vergessenem Meisterinnenwerk „Baise-moi“), sondern auch Fargeat selbst schon einmal viel viel weiter war. Wenn nämlich am Ende ihres Erstlings „Revenge“, während dessen Ansehens wir als Zuschauer:Innen uns auf der „richtigen“ Seite und in der Bequemlichkeit sowohl des Kinosessels als auch in der Rolle des blossen Voyeurs in (scheinbarer) Sicherheit wähnten, und johlend zustimmten und Beifall klatschten, während Jen ihre Peiniger Einen nach dem Anderen zur Strecke brachte, und dann in der allerletzten Einstellung in einem kongenialen fourth wall break Mathilda Lutz’ stahlharter Blick sich uns zuwandte, sie von der Leinwand herab und heraus in den Zuschauer:Innen-Raum schaute und ihre gnadenlosen Augen uns zu sagen schienen: „Allright fuckers, next, I’m coming for you!“, und mit einem Schlag all unsere vermeintliche Souveränität als nur passiv Anschauende unmissverständlich in Frage gestellt und aggressivst angegangen wurde.

„The Substance“ aber schreckt vor dieser letzten Konsequenz zurück.

Was ein Jammer.

P.S.: Was die Darstellung von Essen(zubereitung), Speisen und Nahrungsmitteln angeht, so hat seit Ruth Paxtons viel zu unbekanntem und sträflich unterschätzten, tragisch-verstörendem tour de force-No Budget-Familiendrama „A Banquet“ (vielleicht mach’ ich da bald auch noch mal 'ne Drittsichtung, um Euch den per getipptem Text etwas näher zu bringen) kein Film mehr kulinarische Köstlichkeit gleichzeitig so einerseits deliziös-appetitlich und andererseits im selben Moment auch abstossend-anekelnd ins Bild gesetzt. Hjamm-Hjamm / Kotz-Würg !!!

P.P.S.: Wer Verschreiber, Tippfehler, und Syntax-Probleme findet, darf die gerne erstmal behalten - ich muss gleich schon wieder zur Bahn, und dann ab nach HH ins Kino, und werde all das heute abend / nacht noch erledigen, und dann auch die Formatierung noch etwas kompakter / augenfreundlicher umgestalten.

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