„I am this guy!“
Der in einem kleinen Apartment in New York City wohnende Gelegenheits-Schauspieler Edward, dessen Gesicht von der (bereits ja schon vom real existiert habenden Joseph Merrick aus David Lynchs Theaterstück-Adaption „The Elephant Man“) Erbkrankheit Neurofibromatose (welche durch subkutane Nervenentzündungen im fortschreitenden Verlauf immer stärkere Hautveränderungen verursacht) überwuchert ist, ist unzufrieden mit sich selbst, seinen Lebensumständen und ganz generell der Gesamtsituation. Die hübsche Nachbarin Ingrid lebt ihr Gutmenschen-heuchlerisches Helfer:Innen-Syndrom an ihm aus, ist aber an einer weitergehenden amourösen Beziehungsvertiefung nicht interessiert, von der morschen Wohnzimmerdecke leckt eine ekelerregende Flüssigkeit herunter, und die Rollen, die er ergattern kann, haben meist nur mit instructional workplace videos for dealing better with co-workers that suffer from facial disfigurement zu tun. All das führt er auf seine krankheitsbedingte Entstellung zurück. Eines Tages aber bekommt er die Chance auf eine vollständige Heilung seines Leidens - und damit die Gelegenheit, ein Anderer zu werden und ein zweites Leben zu beginnen. Doch wird ihm das tatsächlich das lang erhoffte Lebensglück zuteilwerden lassen?
Aaron Schimbergs Charakterstudie " A Different Man" ist eine schwarzhumorige, bitterböse Parabel auf Sein, Schein, Selbst- und Fremdwahrnehmung, zweite Chancen und innere Einstellung(en) und äussere (Be)Hindernisse, ein doppelbödiges Vexierspiel um Identität(en), verpasste Möglichkeiten, soziale Rollen und Masken, gescheiterte Lebensentwürfe, das „Was wäre gewesen, wenn?“ in der eigenen biographischen Rückschau, die selbstgefällig-bigotte Verlogenheit einer ach so tolerant sich gebenden Mehrheitsgesellschaft, und den Umgang mit (aus welchen Gründen auch immer erfolgter) sozialer Stigmatisierung. Ihr seht also schon, im Aufmachen von thematisch-diskursiven Fässern ist Schimbergs Doppelgänger-Satire in diesem Festivaljahrgang unter Garantie nicht mehr zu toppen. Ob sie diese dann aber auch alle zur allgemeinen Satisfation leeren kann? Nun, das kann, wird und will sie tatsächlich gar nicht. Die eröffneten / aufgezeigten Problematiken und Topoi dienen hier vielmehr als Ausgangspunkt zum Weiterdenken und Selbstreflektieren. Was ich an „The Substance“ noch so arg bekrittelt hatte (dass der Film nämlich seine Problemfelder zwar darlegt, aber nicht weiter bearbeitet) - hier ist es kein filminhärentes Ärgernis, sondern vielmehr eine Art trajectory, welcher über den filmischen Text hinaus weist, und letzten Endes uns selbst avisiert, uns als Zuschauende dazu auffordert, unsere eigenen Perspektiven und Sichtweisen mal ganz gehörig auf den Prüfstand zu stellen und zu überdenken. Wobei man aber auch konstatieren muss, dass " A Different Man" - bei aller Ähnlichkeit der thematischen Ausgangs-Situation (ein Mensch ist mit sich selbst unzufrieden und wünscht, sich jemand Andere(r) sein zu können, aber im Grunde ist das Problem nicht in den äusseren Gegebenheiten, sondern vielmehr in der eigenen negativen Selbstwahrnehmung zu suchen) - einfach bedeutend cleverer vorgeht. Denn die vielen Zwei- und Mehrdeutigkeiten, welche sich in immer neuen Figurenkonstellationen und inneren und äusseren Konflikten ins X-fache multiplizieren, machen immer neue Projektionsflächen und Möglichkeitsräume auf, und zwingen uns somit immer wieder, unsere eigene(n) Position(en) zum Gesehenen zu hinterfragen. Schimberg bewegt sich also nicht im Kreise wie Fargeat, sondern schafft hier gleichsam eine textuelle Multidimensionalität der Thematiken. Wobei sich der Streifen über den großteil seiner Laufzeit so anfühlt, als hätte da jemand ein Theaterstück auf die grosse Leinwand bringen wollen. Nur passend also, dass es von Anfang an auch ums Theater geht, und in der zweiten Hälfte ein ebensolches im Mittelpunkt steht - bei dem der mit neuem Gesicht und neuer Identität versehene Edward dann in einem von Ingrid verfassten screenplay eine fiktive Version seiner Selbst spielen soll… Das Ganze ist in etwa so in Szene gesetzt, als hätte ein junger Woody Allen der Mitt-/ End-1970er eine Variante seines späteren Sozial-Thrillers „Match Point“ (in dem ein junger sozialer Emporkömmling ja auch unzufrieden mit seinem Leben ist, und immer genau das haben will, was er gerade nicht hat, und letzten Endes ja auch in der selbst erschaffenen Hölle ohne Ausgang landet) verfilmt. Großartige schauspielerische Höchstleistungen des gesamten cast… Sebastian Stan ist zu Anfang unter seiner Maske absolut gar nicht wieder zu erkennen, und spielt den mit sich selbst hadernden, gestalts- und identitätswandelnden Edward mit furchtloser Hintergründigkeit, Renate Reinsve als scheinheilig-selbstverliebte Ingrid ist (m)eine echte Entdeckung, und der von mir seit „Under The Skin“ hochverehrte Adam Pearson kommt leider erst (fast zu) spät dazu - aber wenn er erst mal im Film ist, dann läuft er zu absoluter Höchstform auf: Steals (almost) every scene he’s in, acts with bold and witty confidence, and displays a bedazzling aura of stunning self-assurance! D-a-m-n, that guy really is something else!
Bereits in den ersten fünf oder zehn Minuten seiner Laufzeit stellt „A Different Man“ die eigene Prämisse (allzu) offensichtlich aus…„Unzufriedenheit entsteht, wenn man nicht akzeptieren kann, was ist.“, heisst es dort gleich zu Beginn nämlich. Ob es sich der Film damit nicht doch ein wenig zu einfach macht (ich würde sagen: „Ja, denn es ist tatsächlich nochmal viel viel komplizierter, als hier dargelegt.“), oder nicht, steht aber im Grunde genommen gar nicht zur Debatte. Schimberg, Stan, Reinsve und last but by no means least Adam Pearson zwingen uns nämlich auf bestechende Art und Weise zur schonungslosen Selbstreflexion, zum Nach- und Weiterdenken über so so Vieles, was wir viel zu oft als selbstverständlich und einfach gegeben hinnehmen, anstatt uns mal die Mühe zu machen, auch mal einen anderen Blickwinkel als nur den eigenen einzunehmen. Und viel mehr kann ein Film eigentlich kaum leisten.
„Oh my old friend, you haven’t changed a bit!“, sagt Oswald zum gerade aus dem Knast entlassenen und dabei debil direkt in die Kamera grinsenden Edward in der allerletzten Einstellung von „A Different Man“ (der irgendwie doch immer derselbe geblieben ist), und trifft damit voll ins Schwarze.
Es liegt allein an uns, Edwards (schlechtem) Beispiel nicht zu folgen.