(Keine Titel-Überschrift für dieses review, weil eine unzulässige Verkürzung auf eine headline der Sache nicht gerecht würden würde, und vollkommen unpassend und unangebracht wäre)
Sich in die Hose zu scheissen, ist noch eines der geringsten Probleme des jungen Liam, und oftmals ist es sogar gar nicht wirklich ein Problem - er hat nämlich herausgefunden, dass er dann von seiner Umwelt und seinen Mitmenschen in Ruhe gelassen wird… nur von seinen Eltern nicht. Die schütten ihm dann auch gerne mal den vollen Suppenteller mitten ins Gesicht, sperren ihn in den Kofferraum des Autos, prügeln ihn bis zur Bewusstlosigkeit grün und blau, und schleifen ihn dann in den Keller, wo er sich selbst und dem Fernseher überlassen bleibt, während oben die Mutter auf dem Wohnzimmertisch von einer Meute Männer mittleren Alters nacheinander durchgenommen wird, der Vater meist gar nicht da ist, und wenn, dann entweder besoffen oder aber mit dem Hund beschäftigt, und sich die werte Frau Mama auch gerne mal mit Crackrauchen bis kurz vor’m Herzstillstand die Zeit vertreibt… Eines Tages aber hat selbst das Jugendamt genug, und holt Liam aus seiner zerrütteten Assi-Familie, in der Gewalt und Zwang das einzige Mittel zur Erziehung, nein, Gängelung des Nachwuchses zu sein scheinen, und steckt ihn in eine Wohngemeinschaft für schwer erziehbare Kids. Doch ob dort wirklich Alles besser wird, oder die gesellschaftliche Apathie und das Ignorieren sozialer Missstände am Ende nicht doch in die unabwendbar vorprogrammiert scheinende Katastrophe führen werden?
Welcome to the bleakest and most devastating childhood in white trash hell, filled with darkest hopelessness, domestic violence, self-loathing and irreversible trauma, that you’ve ever seen! Koen Mortier hat es wieder getan, und erneut ein schonungslos-realistisches, keinerlei Kompromisse eingehendes Glanzstück von Film rausgehauen, dass Euch auch heuer erneut treffen wird, wie ein knallharter Schlag in die Magengrube… dieses Mal allerdings eher in slow motion, denn wie auch schon seine anderen mir bekannten Filme, ist auch in seinem nihilistischen Sozialdrama „Skunk“ die tonale Setzung eine ganz andere, als in jedem vorhergehenden seiner Streifen, sind Stil, Narrativ, Atmosphäre und Erzählart dem jeweiligen Topos wieder einmal nahezu perfekt angepasst. Wobei sich Liams Leidens- und (Über-)Lebensgeschichte nur ganz allmählich, still und beinahe behutsam anschleichen, nur um dann umso härter zu treffen. Wen diese gezeigte Intensität des Geschilderten kaltlässt, die:der sollte entweder schleunigst mal die eigenen Vitalzeichen überprüfen lassen, oder hat vermutlich noch nie mit Jugendlichen wie den hier gezeigten zu tun gehabt. Liam, der nie so etwas wie eine echte Kindheit oder Jugend durchlebt hat, der auch mit siebzehn Jahren noch auf dem emotionalen Entwicklungsstand eines Kleinkinds verharrt, bleibt sich mit seinen persönlichen Traumata mehr oder weniger selbst überlassen. Und erfährt zu deren ohnehin schon auch unter den besten denkbaren Umständen beinahe unmöglich scheinenden Bewältigung auch so gut wie keine Hilfe von Aussen. Die oft auch mit ihren eigenen Lebensproblemen beschäftigten Sozialarbeiter:Innen in der Hilfeeinrichtung können sich noch so sehr ins Zeug legen - für eine wirklich zielführende Auseinandersetzung mit den Problemen der sozial verrohten, emotional verwahrlosten Klientel fehlt ihnen ganz einfach das nötige professionelle, therapeutische Instrumentarium, sind sie weder psychologisch noch pädagogisch ausreichend gewappnet. Wohl so gut wie niemand wäre das. Und so geht es dann auch eher um eine Verwaltung des Elends, um tagesstrukturierende Beschäftigungs-Maßnahmen, um den Versuch eines Wegführens von Aggression und Gewalt, von Fremd-und Selbstverletzung als einziger bekannter Möglichkeit der Kanalisierung von Emotionen und inneren Stresszuständen, hin zum Erst-einmal-sich-über-das-Erlebte-Bewusstwerden und anschließend daran Sich-darüber-Artikulieren-Können, um die Idee einer sinnstiftenden Vorstellung der zukünftigen Lebensgestaltung, statt des blossen Vor-Sich-Hinvegetierens. Und dennoch wird jeder zaghafte Versuch Liams, seine selbstgewählte soziale und innere Isolation zu durchbrechen, jeder noch so kleine Schritt, den er aus seinem emotionalen Schneckenhaus heraus zu machen versucht, bewusst oder unbewusst von seiner Umwelt sogleich wieder zunichte gemacht. Bis ihm am Ende nur noch ein Weg zur vermeintlichen Lösung all seiner Probleme gangbar zu sein scheint - und natürlich ist es genau der falsche…
Mortier nähert sich seinen Protagonist:Innen, deren je unterschiedlichen Biographien und Trauma-Konvoluten nur ganz sachte, verbleibt in einer notwendigen Distanz zum Geschehen, die paradoxerweise aber doch eine unglaublich intensive Nähe und dichte Atmosphäre erzeugt. Die fast schon stumme Stille der Inszenierung korrespondiert in „Skunk“ einzigartig mit der Sprachlosigkeit und Unfähigkeit zum emotionalen Ausdruck der Jugendlichen. Umso erschütternder dann die nur scheinbar aus heiterem Himmel sich ereignenden Gewaltausbrüche und Disruptionen des Heim-Alltags, die den Bewohner:Innen als beinahe einziges Ventil, um inneren Druck abzulassen, denkbar scheinen. Und hier muss ich auch @hobo beispielsweise ganz ausdrücklich widersprechen: Eine rohere Darstellungsweise hätte meiner Meinung nach dem Anliegen des Films ganz und gar nicht gutgetan, denn dies hätte die Gefahr in sich geborgen, dass die Inszenierung ins Effekthascherische abzugleiten gedroht hätte… was Koen Mortier durch seine ruhige Hand und ausgesprochen besonnenen und darum umso fokussierteren Blickwinkel dankenswerter Weise vermeidet. Hauptdarsteller Thibauld Dooms als von Gott und der Welt verlassener, im end- und uferlosen Meer des eigenen, unheilbaren Schmerzes zu ertrinken drohender Liam ist ein absoluter Glücksfall für den Film. Man kann sich kaum vorstellen, wie jemand Anderer diese Rolle besser hätte ausfüllen / spielen können. Auch Amenra-Frontmann Colin H. van Eeckhout als brachial-brutaler Monster-Vater und Sarah Vandeursen in der Rolle der überreizt-überdrehten, immer kurz von der Gefühls-Explosion stehenden Mutter sowie Natali Broods als engagierte, aber letztlich doch hilflos agierende Sozialpädagogin Pauline spielen phänomenal auf. Die natürlich und überaus authentisch aufspielende Riege der jugendlichen Laier-Darsteller runden das Ensemble perfekt ab. Die krisselig-verwaschene Farbpalette sowie die immer respektvoll sich verhaltende und die Handelnden nie bloßstellende Kamera geben dem Ganzen ein passend deprimierenden look. Last but not least sei noch der - wie bei Mortier ja üblich und inzwischen altbekannt - großartig zusammengestellte und passende Soundtrack, für den dieses Mal zu einem Gutteil die mir zuvor unbekannte, und nun aus dem Stand zur (Mit-)Lieblingsband avancierte Post-Metal-Combo Amenra hauptverantwortlich zeichnet, erwähnt. Ein cineastischer sucker punch von familiärer Gewalthölle, kindlicher Traumatisierung bis weit über alle zumutbaren Grenzen hinaus (wobei die zumutbare Grenze da ja sowieso bei Null liegen sollte), eine filmische Ausnahme-Erfahrung ohne Karthasis oder den die realen Probleme übertünchen wollenden Anstrich einer angesichts derlei nihilistischer Lebensumstände lächerlich wirkenden Anwandlung von so etwas wie einem möglichen Ausweg, und dennoch nicht bar jeglicher Hoffnung. Mortier wird mich wohl nie enttäuschen.
I think it’s safe to say dass, auch wenn die Festivitäten ja noch gute drei Tage andauern werden, ich mir jetzt schon so gut wie sicher bin, dass meine beiden Favoriten des FFF-Jahrgangs 2024 am Ende des Tages beide aus Belgien stammen werden - ich könnte jedenfalls nicht sehen, welchem Streifen es in dem kommenden Tagen noch gelingen könnte, dieses flämisch-wallonische, filmgewordene power couple noch vom Thron zu stossen. Lasse mich ja aber immer gern auch eines Besseren belehren. Und, eine Anmerkung noch zu @Michaela / der Frage, mit welcher Berechtigung so ein Film denn auf einem Genre-Festival gezeigt werden könne: Mit jeder Berechtigung der Welt! Denn er zeigt schonungslos-unverblümt einen Horror, wie kein zweiter Film des diesjährigen Jahrgangs: Den tagtäglich und jedes Mal zu oft sich ereignenden Horror der von grausamster Gewalt und unerträglicher Traumatisierung geprägten Lebens- und Erfahrungswelten viel zu vieler Kinder, Jugendlicher und Heranwachsender.
„Every child has a story to tell.“, heisst es zu Beginn des Films.
Und jede einzelne dieser hier geschilderten Geschichten ist eine Geschichte zuviel.
Die aber dennoch erzählt werden muss, so schwer es auch fallen mag.
Damit das geschundene und gequälte Seelenleben dieser viel zu vielen Jungen und Mädchen doch nicht nur auf taube oder taub sich stellende Ohren stösst, sondern ihre um Hilfe und Beistand flehenden Stimmen Gehör finden mögen.
Damit sich dergleichen irgendwann vielleicht doch nicht mehr wiederholen möge.
So unrealistisch sich dieser Wunsch heute und hier auch lesen mag.