„Emotions, what are you doin’?“
„Emotions, what are you doin’?
Oh, don’t you know, don’t you know you’ll be my ruin?“
(Brenda Lee, „Emotions“)
Wenn bei der Geburtstagsfeier der kleinen Sasha ein Clown vor der Tür steht, dann hat ihre Hämoglobin-durstige Verwandtschaft durchaus noch andere Hintergedanken, anstatt den gesichtsbemalten Spassmacher nur irgendwelche Kunststückchen vorführen zu lassen… Nur Sasha kann mit dem Verzehr von menschlicher Lebendnahrung nicht so richtig warmwerden. Eines Nachts aber trifft sie den von seinen Klassenkamerad:Innen gemobbten, schüchtern-verlorenen Teenager Paul, als der gerade zaghaft versucht, seinem tristen Leben ein Ende zu machen… und von da an wird für die beiden unverstandenen Seelen Alles anders sein…
Ariane Louis-Seizes schwermütig-leichtfüssige Teenager-Coming-of-age-Vampir-Romanze „Vampire humaniste cherche suicidaire consentant“ ist der diesjährige feel good-Hit im FFF-Programm. Auf ganz leisen Sohlen, mit verstohlenen Blicken aus dunklen Rehaugen, schüchtern-verhuschten Gesten und leise geflüsterten zaghaften Worten wird sich diese mitternächtliche love story von zwei Aussenseiter:Innen, die sich just im genauen richtigen Augenblick gefunden haben, und nie mehr wieder loslassen werden, in Euer Herz schleichen, und Euch ganz sachte mit ihrer still-verschlossenen Schönheit verzaubern, werden Euch die behutsamen Momente dieser zart aufkeimenden Zuneigung zweier Seelenverwandter, deren tiefstes Innerstes sich im Anderen wiederspiegelt, aufgehoben fühlt und angenommen weiss, ganz sanft umgarnen, und Euch das Herz aufgehen lassen beim verzückten Zusehen, wie zwei bislang lebensüberdrüssige Heranwachsende einander und die Welt verstehen lernen, und Hand in Hand die ersten unsicheren Schritte auf einem gemeinsamen Lebens(-nach-dem-Tode-)Weg machen. „Vampire humaniste…“ ist nichts Anderes als ein kleines großes filmgewordenes Wunder, ein Love Song in the middle of the night, zu dem zwei todtraurige Seelen im gemeinsamen Rhythmus ihrer laut klopfenden Herzen tanzen, ganz schüchtern und vorsichtig zuerst, dann immer trittsicherer, zu einer Melodie, die nur sie Beide hören und nachempfinden können. Im blassen Licht des Mondes einer tief vergrabenen, jetzt endlich entdeckten Leidenschaft nachgebend, wie man sie in einer solchen Intensität und Unbedingtheit nur in ganz jungen Jahren und dann nie wieder verspüren kann, versunken in sich selbst und einander. Die wundervoll zurückhaltend aufspielende Sara Monpetit (was für ein Name… ), deren ebenmässige Gesichtszüge und schwarzhaariger Pagenkopf wahlweise an Emily The Strange oder Asami aus Miikes „Audition“ erinnern, ist einfach umwerfend in der Rolle der unverstandenen Vampirin-wider-Willen Sasha. Félix-Antoine Bénard, der mit usselig-zögernder, unbeholfen durch die Welt stolpernder, sich-selbst-nicht-verstehender social awkwardness ihren amourösen counterpart Paul gibt, ergänzt das melancholy morbid outcast love couple perfekt. In der schönsten Szene des Films tanzen die Beiden, jede:r für sich, und doch gemeinsam, nebeneinander zu den Klängen von Brenda Lees „Emotions“, sich anfangs nur verschämt ganz leicht hin und her wiegend, dann immer mutiger und ungestümer, bis sie selbst im Schock des Erkennens vor dem Ausmaß ihrer Gefühle zurückschrecken - ein stimmig-passgenaues Bild für den emotionalen Ansturm im Sich-selbst-und-einander-Gewahrwerden angesichts der ersten großen Liebe. Und natürlich hat die Tatsache, dass einer jungen Vampirin die Fangzähne nicht wachsen wollen, bzw. dies erst in Sorge um den heimlich angebeteten Geliebten tun, noch eine andere Bedeutung, als nur die offensichtliche. „Vampire humaniste…“ hat diesen mich jedes Mal wieder betörenden Touch des juvenil-Verzagten, des todessehnsüchtig-Melancholischen, der zu großen Gesten und kleinen Momente von jugendlicher Flüchtigkeit, die bittersüsse Schwere und schwerelose Leichtigkeit der Adoleszenz, wie ich sie erst im April auch im ebenfalls ganz wunderbaren „La morsure“ wiedergefunden habe - nur dass diese Vampir-Story nicht so drängend-ungestüm daherherkommt, sondern mit schlichter Stille und aufrichtiger Grösse im ganz Kleinen das schönste und allumfassendste aller Gefühle abbildet - die Liebe.
Und, ich habe auf der Arbeit andauernd mit Sterbenden zu tun, und kann deshalb die zum Ende hin praktizierte Methode zwecks Gewinnung des roten Lebenssafts nicht wirklich gutheissen - Aber Sara Montpetit als Sasha und Félix-Antoine Bénard als Paul sind definitiv und ganz bestimmt das coolste drop out-Pärchen seit Winona Ryder und Christian Slater in „Heathers“.
A young love, meant for all eternity.
Which they will spend together.
„Oh, can’t you see what you’re doing to me?
Emotions, please set me free“
(Brenda Lee, „Emotions“)