Filmfest Hamburg 2017

Es ist wahr. Das nächste Filmfest ist schon wieder in Reichweite. Genauer gesagt fing es heute bereits mit dem Eröffnungsfilm Lucky an, von dem man sagt, es sei Harry Dean Stanton’s Performance seines Lebens. Alles was er als Darsteller jemals gemacht hätte, würde in diesem Film gipfeln. Ich muss wohl noch ein Weilchen warten bis ich mich davon überzeugen kann, denn Karten gab es schon lange nicht mehr. Und, tja, ich bin dieses Jahr spät dran.

25. Filmfest Hamburg : 05.10 - 14.10. 2017 Link Filmfest mit Prg.

Austragungsorte sind die üblichen Kinos mit einer großen Änderung: das B-Movie ist dieses Jahr nicht dabei. Okay, bei der Größe des Kinos ist das eigentlich eine kleine Änderung :laughing: Warum es nicht teil nimmt, weiß ich nicht.
Es gibt wieder die bekannten Sektionen, wobei ich die 16:9 und die Kinderfilme der Michel Sektion i.d.R. ignoriere. Erwähnenswert scheint mir jedoch, das unter den TV Krimis eine Regie Arbeit von Volker Schlöndorff ist - Der Namenlose Tag und der Trailer zum Film Tian - Das Geheimnis der Schmuckstraße von Damian Schipporeit ganz gut aussieht. Außerdem werden die ersten zwei Folgen der neuen TV Serie Babylon Berlin gezeigt, bei der u.a. Tom Tykwer Regie geführt hat. Läuft ab 13.10. auf Sky.

Nachdem letztes Jahr der Douglas Sirk Preis nicht vergeben wurde darf sich Wim Wenders nun über diese Auszeichnung freuen, so wie über die Aufführung seines neuen Films Submergence mit James McAvoy und Alice Vikander :yum: Offizieller Start Termin wird der 15.02.2018 sein. Schade das man ihm bei der Gelegenheit nicht eine kleine Retrospektive widmet. Wieder etwas, was ich nicht verstehe. :rolling_eyes: TEXAS, PARIS mal auf der Kino Leinwand, das wär doch was…

Der Abschlussfilm The Square hat schon zahlreiche Preise abgeräumt, und er hat mich auf Grund seines kuriosen Trailers sehr neugierig gemacht. Ich bezweifle, das es noch Karten gibt. Leider habe ich dieses Jahr erst drei Karten. Für weitere Käufe wurde mir heute der Weg per Bahn in die City verwehrt: Der Sturm war schuld. Also versuche ich morgen mein Glück.

Das Programm mit 130 Filmen zum 25. Jubiläum sieht zumindest auf dem ersten Blick ernster aus als letztes Jahr. Vielleicht weil das Hauptthema Arbeit ist? Leute mit Arbeit, ohne Arbeit, was sie machen um Jobs zu kriegen zu behalten, Last oder Erfüllung usw… Doch es sind einige Komödien bzw. Filme mit grotesken, skurrilen Elementen dabei. Z.B. die dt.- niederländischen Produktion FÜHLEN SIE SICH MANCHMAL AUSGEBRANNT UND LEER. Ja, man merkt, ist halt teils deutscher Film, der Trailer ist irgendwie herrlich absurd. Ich hab spontan Bock bekommen. Gibt aber nur eine Vorführung und die ist ausverkauft. Der Film startet am 30.11.2017.
Beachtenswert sind die 8,4 Pkt auf ImdB (82% von 709 Usern geben 8-10 Pkt!) für die derbe Komödie Three Billboards Outside Ebbing, Missouri mit F. McDormand, Woody Harrelson und Sam Rockwell. Interessante Besetzung. Und kommt vom BRÜGGE SEHEN…UND STERBEN Regisseur Martin McDonagh.

Weitere humoristische Töne vermute ich in Arrythmia (Beziehungsdrama mit viel Krankenwagen), Wajib - laut Prg. (Generationenkonflikt in Nazareth), Life Guidance (trocken skurril), Free and Easy (absurd, schwarze Komödie aus HK), Dog (franz. mit Hunden :poodle: , laut Prg. abgedreht-surreal), Crash Test Aglaé (sture Frau in klapprigem Auto, lakonisches anarcho Roadmovie), Tomorrow and Thereafter (Tragikomödie mit Kind und sprechender Eule), Voll verschleiert ( frz.-arab. Komödie mit Schleier), Ali, The Goat and Ibrahim :goat: , den ich mir anschauen möchte. Eine Parabel und skurriles Roadmovie in Ägypten. Marita (Komödie mit Familien Thematik), Simpel (dt. Film mit Bruderpaar, spielt im Norden, mit David Kross), The Dissidents (Komödie aus Estland, Lettland und Finnland!), For your own Good (Box-Office Hit aus Spanien um drei Kindsköpfe), Rock’Roll (franz. Satire mit Marion Cotillard), Solitaire (arabische bitterböse Komödie um eine Heirat zwischen Syrer und Libanesin) und dann noch A Song from Lisbon, portugisischer Kinohit um einen Medizinstudenten der nichts auf die Reihe kriegt.
Okay, ganz schön viele Komödien für ein ernstes Filmfest :stuck_out_tongue_winking_eye:

Gerade fällt mir noch auf, das unter den Filmen einige Roadmovies sind. (ich zähle sechs). Darunter auch die Doku Promised Land, die im Rolls Royce von Elvis quer durch Amerika führt und dabei Prominente wie A.Kutcher und E.Hawke zu Wort kommen lässt.

Mich interessieren allerdings einige Produktionen, die hier noch keine Erwähnung fanden. Dazu später mehr, sobald ich Karten habe.

Edit: Link zur Filmfest Seite hinzugefügt.

Heute sah ich Ali, The Goat and Ibrahim, arabische OmeU . Schöner Einstieg ins Filmfest. Die Mischung aus Drama und Komödie um zwei junge Männer, die mit einer Ziege durch Ägypten ziehen, geriet seitens des Drehbuchs etwas dunkler als erwartet und war anfangs leicht redundant im Witz um die Beziehung zwischen Ali und seiner Ziege. Dennoch war dies ein durchaus gelungenes Debut, das mit erstaunlich ansprechender Bildgestaltung und hervorragender Ausleuchtung punkten konnte und zudem sympathische, überzeugend spielende Darsteller hatte, die auf ihrer Reise jeder für sich mit ziemlich ernsten Problemen zu kämpfen haben. Der Film verweist zaghaft auf die höheren Wahrheiten hinter den irdischen Erfahrungen und zeigt den Einfluss modernen Lebens auf das Traditionelle. Nicht zuletzt wegen des klasse Soundtracks mit seinem orientalischen Zupfinstrument kommt der Film unterhaltsam und relativ leicht daher. Knappe 6,5/10. Bei geneigter Stimmung ist evtl. auch mehr drin.

Malaria im nahezu ausverkauftem Metropolis Kino war dann noch mehr mein Ding als ich es nach Trailer Sichtung erhofft hatte. :joy: Der iranische Film (Farsi OmeU) handelt von einem Freund und seiner Freundin, die aus der Provinz nach Teheran fliehen und auf ihrem Weg einen Musiker kennen lernen. Malaria vereinnahmt mit seiner unmittelbaren Inszenierung mit teils dokumentarischem Auge und dem äußerst sympathischem Cast. Dazu ist der Film sehr musikalisch, leicht und voller Esprit. Aber auch, seitens des Drehbuches, von ernster Handlung, was manchmal bei mir emotional nicht so ganz ankam, da den Szenen viel Situationskomik innewohnt. Das gewählte Farbschema empfand ich als sehr passend mit leichter Betonung von blau-türkis Tönen. Einige wenige Farben schienen bei den City Aufnahmen leicht Bonbon Farben, während der Rest normal gesättigt und kontrastiert war. Also nicht so kunterbunt wie bei vielen Bollywood Filmen. Hmm, schwer zu beschreiben, mir gefiel’s. Der Film erfindet nichts neu und war auch in seiner Quintessenz nicht 100% schlüssig, inszeniert jedoch alles so ungemein leichtfüßig und flüssig, das ich danach Lust hatte ihn noch einmal zu sehen. Er wirkt angenehm nach und hat eines der schönsten Schlussbilder, die ich in diesem Jahr sah. 7/10 :smile:

Meine Karten fürs Erste:

Ali, the Goat and Ibrahim :goat:
Malaria
Jane
Score :notes:
L’Amant Double
Mathilde
Angels Wear White :angel:
Letters for Amina
Teheran Taboo

Edit: Weitere Filme zugekauft :slight_smile:

Tag 2

Soweit die Zeit dazu da ist werde ich Euch hier weiterhin mit kleinen Info Häppchen versorgen. Apropo Zeit. Wie eng Termine kalkuliert sind musste ich selbst mal wieder feststellen da ich nach dem FFF mitunter zum Trödeln neige. Zeit Knappheit lässt sich ebenfalls nicht nur am Jahr für Jahr späterem Erscheinen der gedruckten Programmhefte erahnen. Auch die Abstände zwischen den Vorführungen auf dem FFHH (häufig sogar als Premiere) und deren angekündigten offiziellen Start Terminen, laut VdF Kino, sind dieses Jahr kurz. Für Interessierte nicht Hamburger und alle die es nicht zum Filmfest Hamburg schaffen:

Einige bereits bekannte Starttermine aus dem aktuellen Programm:

Jupiter’s Moon: 26.04.2018
Licht: 01.02.2018
Teheran Tabu: 16.11.2017
Human Flow: 16.11.2017
Fühlen sie sich manchmal ausgebrannt und leer?: 30.11.2017
Pre-Crime: 12.10.2017
Lucky: 08.03.2018
Battle of the Sexes - Gegen jede Regel: 23.11.2017
Score - Eine Geschichte der Filmmusik: 04.01.2018
Suburbicon: 09.11.2017
Three Billboards outside Ebbing, Missouri: 25.01.2018
L’Amant Double: 25.01.2018
Voll verschleiert: 28.12. 2017
Es war einmal Indianerland: 19.10.2017
Mathilde: 02.11.2017
Simpel: 09.11.2017
Submergence: 15.02.2018
Die Unsichtbaren - Wir wollen Leben: 26.10.2017

Ich finde das sind eine ganze Menge. Also keine Panik :relaxed:, sollte man einen Film verpassen. Ein Grund mehr bei der Auswahl einen tieferen Blick auf die kleineren, Nischen Produktionen zu werfen. Ein bisschen erstaunt bin ich das zu zwei Filmen keine VÖ Infos zu finden sind. Das sind:

  1. The Killing of a Sacred Deer, der zu meinem Bedauern plötzlich ausverkauft ist. Mit Colin Farrell und Nicole Kidman. Übersinnliche Drehbuch Elemente und eine Story über Schuld und Sühne. Von Autoren Filmer Yorgos Lanthimos von dem auch DOGTOOTH und THE LOBSTER stammen. Und wir erinnern uns (leider); auch THE LOBSTER hat keine Kino Auswertung erhalten.

  2. Der Mann aus dem Eis, eine deutsche Produktion. Sippenmord im Hochgebirge der Ötztaler Alpen vor 5000 Jahren. Krasser Ötzi Shit mit Jürgen Vogel. Die Bilder des Trailers sehen gut aus, definitiv für die große Leinwand. Vermute der bekommt noch eine Kino Auswertung. Läuft in Hamburg auch im größten Saal mit 1000 Plätzen. Könnte ich mir sogar heute noch spontan geben, es kommen auch Gäste…

Edit: Rechtschreibung + Jane

Mein einziger Film heute war Jane. Europa Premiere und wieder ein Debut. Regie und Drehbuch hat Cho Hyun-hoon übernommen und dafür drei Preise eingeheimst. Schwer den Film zu beschreiben. Er funktioniert elliptisch, geht in der Zeit vor und zurück, vermengt dabei aber auch unterschiedliche Handlungsstränge. Oder nur scheinbar? Es bedarf etwas Aufmerksamkeit um das zu durchschauen. Die Voraussetzungen dafür schafft die Ruhe des Films. Es geht um Freundschaften und Familie und die eigene Einsamkeit. Den Umgang mit Anderen. Ausgangspunkt ist die Erzählung von So-hyun, die im Laufe ihrer Geschichte von der Transfrau Jane aufgenommen wird, bis sie wieder Teil einer anderen Familie wird. Die Vorgehensweise des Films ist sehr subtil. Das Drama das sich hier entfaltet weniger. Der Regisseur hat ein Faible für Gesichter in Nahaufnahme. Musik setzt er sehr sparsam ein; die Akzente sind jedoch absolut passend und verleihen dem Gezeigtem emotional Nachdruck. Überhaupt wirkt Jane emotional. Es ist kein Film den man über den Intellekt erfährt und keiner den man sich rein wegen seiner Bildgestaltung oder visueller Ideen anschaut, obgleich er handwerklich sehr solide ist. Weitgehend tagsüber oder in hell ausgeleuchteten Szenen gedreht. Es waren nur knapp 20 Leute in der Vorstellung. Möglich das die Transgender Thematik viele nicht so angesprochen oder sogar abgeschreckt hat. Ich empfehle jedoch dies bei der Auswahl zu ignorieren, da der größere Teil des Films einen anderen thematischen Schwerpunkt hat. Jane erfordert mitunter ein wenig Geduld und innere Ruhe. Dann kann er am Ende sehr berühren. Beeindruckend, subtil und sensibel. Wirkt nach. Kann ich noch nicht bewerten.

Tag 3

Letters for Amina. Titel und Anfang des Films könnten an einen poetischen Film denken lassen. Dem ist nicht so. Das Psycho Drama um den jungen Mann Janus, der nach langem Aufenthalt aus der psychiatrischen Klinik entlassen wird, entwickelt eine eigene Dynamik und bricht schließlich mit einer Wucht über den Zuschauer herein, die wohl die wenigsten erwartet haben. Wahn und Wirklichkeit liegen hier nah beieinander. Gewalt ist nicht selbst Zweckhaft sondern pathologisch immanent. Aus der römischen Mythologie kennen wir den Januskopf als Symbol für Zwiespältigkeit. Einerseits lässt Letters for Amina keine großen Zweifel, das das, was wir sehen auch geschieht, dazu ist er zu realistisch. Andererseits lassen einige Elemente des Drehbuchs Interpretationsspielraum. Aus dem Norden kommen ja ab und an mal bemerkenswerte filmische Beiträge. Latters for Amina zählt definitiv dazu. Regisseur Jacob Bitsch vertraut auf seinen Hauptdarsteller, setzt ihn von Beginn an voll ins Bild, fängt geduldig Gesten, Mimik und Nuancen ein. Die Kamera bleibt bei Ihm. Eine goldrichtige Entscheidung. Aufwühlend, erschütternd und verstörend, an den richtigen Stellen von latentem Witz. Spannend, ergreifend, tragisch und insgesamt kompromisslos. Mein bisheriges Highlight auf dem Filmfest HH 2017. Mindestens 8/10 :joy:

Nach dem Motto kein Filmfest HH Jahr ohne Doku ging es danach zu Score - Eine Geschichte der Filmmusik. Die Doku bietet Einblick in die Prozesse der Filmkomposition und lässt einige der Größten Komponisten unserer Zeit zu Wort kommen wie Hans Zimmer, Danny Elfman, Rachel Portman, Howard Shore, John Williams, Trent Reznor… Dabei erfahren wir von ungewohnten Wegen Sound aufzunehmen und lernen eigenartige wie seltene Musikinstrumente kennen. Wir erhalten zumindest einen kleinen Eindruck von den Charakteren der Komponisten und in einem Fall sogar sehr intime Einblicke in die “Arbeitsweise” :wink: Die Doku zeigt viele Filmausschnitte, spielt die Musik - meistens das Haupt Thema dazu ein und lässt Experten auf dem Gebiet der Filmmusik oder eben die Komponisten selbst zu Wort kommen. Ein bisschen übel genommen habe ich Regisseur Matt Schrader das ich bis zu Abspann warten musste, um ein paar Takte des genialen TITANIC Themas zu hören :disappointed: , ein Film der ja nun wirklich Geschichte geschrieben hat.
Die Doku enthält einige humorvolle Gespräche; sie hat mich aber nicht gleichermaßen begeistern können wie meine unmittelbaren Nachbarn. Warum? Nun, einmal ging ich bei dem Titel “Eine Geschichte der Filmmusik” von einem größeren Rahmen für die Doku aus. Sie nimmt jedoch eher Bezug auf den englischen Raum, so zumindest mein Eindruck. (Fairerweise muss man hinsichtlich des Umfangs erwähnen, das Score Matt Schrader’s erster Langfilm war, der durch Crowdfunding finanziert wurde.) Leider fand ich sie jedoch auch nicht besonders originell. Es wird ein Film nach dem anderen angerissen, zum Nächsten gesprungen, kurze Interviews eingebunden und Anekdoten eingeworfen usw., was sich nicht gerade wie ein homogenes Ganzes anfühlt. Und letztlich habe ich Orchesterproben und Vorgänge des Aufnahmeprozederes schon in einigen Making-ofs gesehen, so das sich mir hier keine großen neuen Erkenntniswelten auftaten. Insgesamt also eher eine Art Best of mit Interview Schnipseln als eine gute Doku. Nichtsdestotrotz ist es als Vielfilm Gucker spaßig an die zahlreichen großartigen Kompositionen erinnert zu werden, so das ich am Ende durchaus wieder Lust auf den einen oder anderen länger nicht gesehenen Film bekommen habe. (z.B. Rocky und Titanic). 6/10

Heute sah ich keinen Film. Morgen geht es dann weiter mit dem neuen Francois Ozon. :slight_smile:

L’Amant Double
Francois Ozon arbeitet wie schon in JUNG & SCHÖN erneut mit Schauspielerin Marine Vacth zusammen. Das kann er gerne noch weitere Male tun. :yum: Ihre Protagonistin Chloé leidet an seltsamen Magenschmerzen wegen denen sie nach erfolglosen Arztbesuchen einen Psychologen (Jérémie Renier) aufsucht. Im Verlauf entwickelt sich eine Liebesbeziehung zwischen ihr und Paul worauf sie die (mittlerweile erfolgreiche) Behandlung abbrechen. Alles scheint in Ordnung bis Chloé herausfindet das Paul einen Zwillingsbruder hat.
L’Amant Double habe ich nach dem Abspann innerlich erst einmal mit drei Buchstaben zusammengefasst: WTF. Und das gilt hier auch im wahrsten Sinne des Wortes. Der Film changiert zwischen Erotikthriller und Psychodrama bzw. Psychothriller und letztlich auch dem Genre des Body Horrors. Förmlich aufgedrängt hat sich mir als Pate für das Story Konstrukt DIE UNZERTRENNLICHEN von David Cronenberg. Doch Ozon inszeniert anders; L’amant Double erinnert in dieser Hinsicht eher an einen Brian de Palma Film. Doppelgänger, Spiegelungen, Split Screen, verdoppeltes Interior. Ozon tobt sich aus und übertreibt es offensichtlich aber auch eben ganz bewusst mit diesen Stilmitteln, so das nicht immer klar ist inwieweit das als Witz, als Spiel mit dem Zuschauer oder als dramaturgischer Ernst gemeint ist, um den Film als Psycho Drama zu inszenieren. Dem Zuschauer bleibt die Wahl und Ozon balanciert seinen Film mitunter auf eine ähnlich eigenartige Weise wie es letztes Jahr Verhoeven mit ELLE getan hat. Kameramann Manuel Dacosse hatte hier allerhand zu tun und ob nun jedes Detail, jede Szene der zahlreichen Verdoppelungen exakt und in sich logisch wahr, lässt sich wohl erst sicher nach einer zweiten Sichtung beurteilen.
WTF aber auch deshalb, weil ich Francois Ozon die Konsequenz, den Mut und die Dreistigkeit mit der er den Zuschauer provoziert, verunsichert und unterhält, in dieser Form nicht zugetraut hätte. Das scheint mir eher die Handschrift eines bereits oben erwähnten Paul Verhoeven zu sein, wobei Ozon dann doch (vermutlich seinem Naturell entsprechend) etwas subtiler vorgeht.
In L’Amant Double gibt es viel nackte Haut zu sehen - sehr viel. Die erste Einstellung dehnt darüber hinaus mal wieder die Grenzen dessen was im Kino für ein Massen Publikum gezeigt wird ein bisschen aus (die Grenzen ausdehnen, lustiges Wortspiel…:laughing:) und könnte mach einem :blush: lassen. Doch wer jetzt ein durch und durch erotisches Thriller Drama aka DAMAGE - VERHÄNGNIS oder anderer älterer Klassiker dieses Genres erwartet, dem sei gesagt: Um durchgehend erotisch zu sein ist L’Amant Double in seinem Sujet zu steril. (In Zeiten einer über- sexualisierten Gesellschaft und leichter Verfügbarkeit pornographischer Bilder und Filme kann, wer will, den Film auch als zeitgemäßes Update des Erotik Thrillers sehen). Und mit Sicherheit liegt es nicht an Marine Vacth, die eine sehr erotische Ausstrahlung hat. Überhaupt muss man sagen, das der Film ohne die großartige Chemie zwischen den Darstellern und deren Schauspielleistungen lange nicht so funktionieren würde. Sie tragen den Film und ohne sie wäre die Gefahr groß das das Ganze Konzept in sich zusammenfallen würde. Es gibt drei wahrlich gut getroffene Schock Momente und eine spannend inszenierte Angst Sequenz, doch davon abgesehen gelingt es Ozon nicht über die gesamte Länge, homogenen, beständigen Thrill zu schaffen. Das ist auch dem ziemlich voraussehbarem Ende zu zu schreiben. Dennoch. Letzten Endes funktioniert L’Amant Double mit dieser eigenartigen Balance aus Psychodrama, Erotik, Body Horror und Witz nicht zuletzt wegen seiner Darsteller gut. Mir hat er gefallen, ich hatte meinen Spaß. 7/10 :joy:

Teheran Taboo, ein weiterer iranischer Film, gezeigt in Farsi mit dt.Uts, wurde auf dem Filmfest unterschiedlich aufgenommen. Je nach dem ob er von Persern oder westlichem Publikum beurteilt wurde. Das war jedenfalls die Aussage einer Perserin mit der ich mich unterhielt und die ihn im Gegensatz zu mir mit Regisseur und Q & A sehen konnte. Der Film sei schlecht, es ginge nur um Sex, der Film sei einseitig, die iranische Gesellschaft wäre nicht so und das sei wohl eher die Sicht der Männer, gab sie ihre Meinung und den allgemeinen Tenor der ersten Vorstellung wieder. Ein junger Mann mit Akkreditierten Ausweis sagte mir im Gespräch, wenn ich noch einen Tip für einen richtig guten Film wolle, empfehle er mir Teheran Taboo :laughing:
Der Film erzählt von drei Frauen und einem Musiker in Teheran und die Verflechtung ihrer persönlichen Probleme mit Institutionen (sprich dem Staat) und Religion. Korruption, Drogen, Sex, Prostitution, Machoismus und das Bild der Frau, aber auch schlicht die Idee der Humanität; um diese Begriffe und Themen kreist das Debut von Regisseur Ali Soozandeh. Der Film ist als Animationsfilm in Rotoskopie Technik umgesetzt und ich war erstaunt über die handwerklich gute Umsetzung. Und nicht nur das. Er ist auch flüssig erzählt. Unmittelbar, ohne unnötige Expositionen zeichnet er ein Bild durch Situationen aus dem Alltag der Protagonisten. Klar ist dies ein subjektives Bild, denn wir sehen nur einen kleinen Ausschnitt von Teheran. Die Probleme und Erfahrungen der Protagonisten mögen also individuelle sein, ihre Erfahrungen mit den Behörden jedoch exemplarischer als es manch einer wahrhaben will. Des öfteren wird auf die starren staatlichen Regelungen hingewiesen, die die Menschen mitunter erst zu ungewöhnlichen, drastischen Maßnahmen verleitet. Es wird jedoch auch insgesamt ein Bild von einer Gesellschaft angedeutet, in der großes Misstrauen herrscht und der Verlust allgemein humanitärer, ethischer Werte zunimmt. So gab es auch eine Szene mit Gewalt gegen Tiere, die mir trotz ihrer Kürze und der Roto Technik durch Mark und Bein ging.

Insgesamt ist Teheran Taboo für mein Empfinden ein sehr gelungenes Debut geworden, mit ansprechender, sparsam eingesetzter Musik noch dazu. Um nochmal auf die unterschiedliche Wahrnehmung des Films einzugehen: Ich denke trotz einiger völlig berechtigter, verallgemeinernder Kritik am Regime und an der Gesellschaft ist der Film mindestens ebenso eine Millieu Studie. Korruption mag im Iran verbreiteter, oder offensichtlicher sein, die Verflechtung von Staat und Religion größer, Machoismus ausgeprägter und die Rechte von Frauen rückständiger, doch Mangel an humanitärem Empfinden oder die absurden Erfahrungen, die die Protagonisten (mit den Behörden wie mit ihren hausgemachten Problemen) machen, kann man in ähnlicher Form durchaus auch in Deutschland oder anderen Ländern erleben. 7/10

Und ein Nachtrag zu L’Amant Double. In einer amüsanten Szene sehen wir die Hauskatze ihre voyeuristischen Neigungen ausleben.Tierische Voyeure.

Der Schwan. Aus dem Zelt vom Filmfest war laut einer Freundin zu vernehmen, das der Film schlecht sein soll. Das kann ich weder auf Grund der Publikumsreaktion noch nach meinem Empfinden bestätigen. Europapremiere, Langfilm Debut und Q & A. Wer am 11.10. dabei war, bekam gleich einen ganzen Sack voll Bonus dazu. Der Film ist eine dt., isländische Koproduktion und wurde in Island gedreht. Entsprechend hat er seine Liebhaber bei all denjenigen finden können, die der kargen, hügeligen Landschaft mit saftig grünen Wiesen im Norden der Insel etwas abgewinnen können. Ein neunjähriges Mädchen wird auf eine Farm zu entfernten Verwandten geschickt um durch kleine Aufgaben den Umgang mit Verpflichtungen zu lernen sich in die Erwachsenenwelt zu integrieren.
Regisseurin Ása Helga Hjörleifsdóttir setzt Dialoge, Bilder, Story Impulse und Musik sehr sparsam ein. Sie erschafft damit eine leicht verträumte Welt. Schön auf ihre Art, Freiheit verheißend aber auch manchmal trist und verloren anmutend, so das das Gefühlsleben des Mädchens seinen Spiegel in der Landschaft findet. Ich empfand den Film emotional gut ausbalanciert und trotz einiger Schwächen (vereinzelte ungewollte Unschärfen, Story mit etwas wenig Dynamik und subjektive Eintönigkeit der Bild Auswahl) ein ganz gutes Debut, in dem auf jeden Fall eine persönliche Idee der Regisseurin erkennbar war.

Seit Samstag ist das Filmfest zu Ende. Zehn Filme waren es bei mir. :slight_smile: Wie ich so hörte, haben dieses Jahr viele Besucher tolle Filme für sich entdecken können, wobei die großen Produktionen, die Zeit nah ins Kino kommen auch sehr gut angenommen wurden. Allen voran Three Billboards Outside Ebbing, Missouri, den nicht wenige als den besten Film des Jahres bezeichnet haben. :eyes:. Kursierte letztes Jahr kurz das Gerücht, es könnte Albert Wiederspiel’s letztes Jahr als Intendant sein - warum auch immer -, so habe ich nichts in der Art gehört…Auf den grandiosen Zugabe Sonntag hat man dieses Jahr verzichtet. Es waren aber auch gut 30 Filme weniger dieses Jahr so das das planerisch zu verschmerzen war.
Zu zwei Filmen habe ich noch gar nichts geschrieben sehe ich gerade. Hole ich die Tage wenn ich Zeit finde noch nach. Stattdessen hier kurz eine simple Aufzählung von Filmen die ich nicht sah, zu denen ich positives Feedback in persönlichen Gesprächen erhalten habe. :eye:

Wajib
Lucky
The Rider !
Barbara
Voll verschleiert
How Viktor “the Garlic” took Alexey “the Stud” to the nursing home
The Killing of a Sacred Deer
Simpel

Der neue Wim Wenders Submergence soll wohl “nur” ganz okay gewesern sein. So lala habe ich ein paar mal gehört. :neutral_face:

Nachgereicht: Angels Wear White, eine chinesisch-französische Koproduktion, ist nach Abschluss des Festivals neben LETTERS FOR AMINA und MALARIA der Film, der mich am meisten überrascht hat. Qualitativ hochwertig erzählt die Regisseurin Vivian Qu mit niedrigem Budget ihre Geschichte nach eigenem Drehbuch mit dem schweren Thema Kindesmissbrauch. In einem Motel einer Kleinstadt an der chinesischen Küste ereignet sich das Verbrechen für das es eine Zeugin gibt, die aus Angst schweigt. Der Regisseurin gelingt es ganz großartig die Perspektiven der Protagonisten zu wechseln und ihre Beweggründe verständlich zu machen. Sie zeichnet dabei auch das Bild eines korrupten institutionellen Apparates. Beeindruckt hat mich die Ruhe mit der das Neo Noir Drama sich entfaltet. Ihr gelingt das Kunststück das sich der Film trotz der Schwere seines Themas leicht anfühlt. Er wirkt auch eine Woche später noch nach und ich möchte ihm jeden, der die Gelegenheit hat ihn zu sehen, empfehlen. Der Cast ist sympathisch, das Schauspiel überzeugt. 7,5/10

Mathilde, ein russisches Historiendrama am Zarenhof feierte in Hamburg Weltpremiere mit Gästen. Ich sah allerdings die zweite Vorstellung. Der Film hat mich zwar gut unterhalten, hat sich jedoch schnell wieder verflüchtigt. Die Ausstattung ist opulent, die Kostüme sind großartig. Der Cast besteht zwar nicht aus der Top Liga aber die Schauspieler spielen gut und die Chemie zwischen ihnen stimmt. Der deutsche Schauspieler Lars Eidinger spielt den russischen Thronfolger, der sich in eine Ballerina verliebt (Michalina Olszanska). Natürlich sind alle gegen diese Liebe… Eidinger hat seinen Text in russisch gesprochen, musste aber russisch nachsynchronisiert werden, da es wohl doch zu fehlerhaft war. Der Film wurde im russischen OT gezeigt mit deutschen UTs. Von einer Expertin in Sachen Ballett habe ich mir sagen lassen, das die Ballettszenen nicht sehr professionell umgesetzt waren. Man hat zum Teil auch erkannt, das da ein Double tanzt. Davon abgesehen ist der Film gut eingefangen. Gerade die Szenen zu Beginn haben eine tolle Kamera, die durchaus Alternativen zu den geläufigen Standards zeigen. Die Story basiert auf wahren Ereignissen. 6,5-7/10 Pkt.

Damit schließe ich meine diesjährigen Eindrücke zum Filmfst HH ab. Es fehlten ein paar bekannte Gesichter, dafür habe ich neue Leute kennen gelernt. :slight_smile: Mein Eindruck war, das die meisten Besucher mit ihrem Filmfest zufrieden waren. Es gab 5 Prozent mehr Besucher als letztes Jahr. Viele Produktionen können nachgeholt werden; einige Filme starten bereits zeitnah regulär im Kino oder laufen bereits. Manch andere werden wohl kaum wieder im Kino zu sehen sein.
Besonders hervorheben möchte ich die Filme:

Marlaria (Iran)
Letters for Amina (Dänemark)
Angels wear White (China-Frankreich)

Jane ist ein Low Tempo ruhiger Independent Tip aus Korea, der vermutlich in die Kategorie “Hard to Get” fallen dürfte.

**Für Fans des Rotoskopie Verfahrens ist Teheran Taboo eine Empfehlung. Und alle Freunde der Filme von Francois Ozon, aber auch Cronenberg, De Palma und WTF Film Fans, sollten sich L’Amant Double nicht entgehen lassen.

Die Doku Score hat mich doch mehr enttäuscht als ich es anfangs wahrhaben wollte, weshalb ich sie abschließend nicht besser als durchschnittlich bewerten kann. Es gibt aber eine Doppel DVD mit dem Rohmaterial der Interviews (6Std), ist vermutlich interessanter als die Doku selbst.

Bis nächstes Jahr :smile: