A bissl hat’s gedauert, aber: Was lange gärt, wird endlich Wut… oder wie war das noch?
Wie auch immer - Extra für @XhellbroX im Speziellen, und aber natürlich auch für alle Anderen Interessierten hier nun ein paar Infos / ein „kurzer“ Bericht vom Q&A mit „Skunk“-Regisseur Koen Mortier aus Hamburg… und -zig1000mal „Danke!“ an @todi (für you-know-what ).
„Monsieur Mortier, wie haben Sie das gemacht?“
Bericht vom Q&A mit „Skunk“-Regisseur Koen Mortier aus Hamburg
Im Anschluss an das FFF-screening / direkt nach dem Film, und noch während der Abspann über die Leinwand flimmerte, war noch Zeit für ein kurzes Q&A mit Koen Mortier, dem Regisseur von „Skunk“ (und auch von „Ex Drummer“ sowie „22nd of May“).
!!! ACHTUNG !!! Warnung vor schweren Spoilern für „Skunk“, den gesamten Film betreffend !!! Bitte erst nach dem Ansehen des Films weiterlesen !!!
Eingangs fragte Fredi nach dem Hauptdarsteller Thibaud Dooms, und wie Mortier ihn denn gefunden habe. Worauf Mortier antwortete, dass beim ersten casting für die Hauptrolle niemand dabei gewesen wäre, der ihm als passend erschienen wäre / ihm zugesagt habe. Dooms, der zur dem Zeitpunkt 19 Jahre alt, bis dahin nur Theater gespielt hatte und nie im Film-Business gearbeitet hatte, und noch Student war, hätte zuerst gedacht, dass er die Rolle sowieso nicht bekommen würde, und wäre deshalb gar nicht erst zum ersten casting erschienen. Da er damals noch lange Haare hatte, fragte Mortier ihn dann (nachdem er in der zweiten casting-Rude ausgewählt worden war), ob er bereit sei, sich für die Rolle die Haare schneiden zu lassen. Als Nächstes habe er dann vom Dooms ein Foto zugeschickt bekommen, auf dem dieser eine Glatze gehabt habe (Zitat: „Skinhead“ ). Flo Pauwels, der Darsteller von Johan, sei zum Zeitpunkt der Dreharbeiten gerade mal 16 Jahre alt gewesen, und die meisten anderen jugendlichen Darsteller um die 18 Jahre alt. Sie Alle wären vorher noch nie in Filmen zu sehen gewesen / aufgetreten, Viele seien auch von der Straße weg gecastet worden.
Die nächste Frage bezog sich auf Colin Van Eeckhout, den Leadsänger der Band Amenra, und wie Mortier auf diesen gekommen sei. Mortier sagte, er habe nicht gewusst, wen er als Vater habe besetzen sollen, woraufhin ein:e Bekannte:r ihm vorgeschlagen habe, doch den “guy from Amenra“ in Erwägung zu ziehen. Als Mortier diesen dann angerufen habe, wäre das Erste, was der zu ihm gesagt habe, gewesen: „Why didn’t you ask me for “Ex Drummer“?“ Mortier habe dann geantwortet: „Na gut, dann nehme ich Dich eben jetzt!“
Auf eine Publikumsfrage, warum Mortier in seinen Filmen oft die gesellschaftlichen Umstände, und wie diese (vor Allem Armut und Gewalt) dazu beitragen würden, dysfunktionale Männer / Männlichkeit zu formen, in den Focus rücken würde, antwortete dieser, dass sein Grossvater, der Eigentümer einer Bar und zudem auch Gewerkschafter gewesen sei, den Armen und sozial Vernachlässigten oft und viel geholfen habe. Er habe bespielsweise die Lehrer:innen in der Schule gefragt, ob sie in ihren Klassen Kinder aus ärmeren Familien hätten, und wenn diese bejahten, sei er dann zu diesen Familien gegangen und hätte ihnen angeboten, staatliche Unterstützung aus Förderprogrammen / Stipendien für die betreffenden Kinder zu organisieren. Er habe sich um all den Papierkram und die Anfragen gekümmert, und beim jungen Koen, welcher viel Zeit mit seinen Grosseltern verbracht habe, wäre durch diese Beschäftigung seines Großvaters das Interesse an der Unterschicht / in Armut und sozial prekären Verhältnissen lebende Menschen geweckt worden.
Fredi fragte Mortier dann, wie er die vielen Szenen physischer Gewalt und Kämpfe unter den Jugendlichen und mit den Sozial-Arbeiter:innen organisiert habe, und ob das am Filmset schwierig gewesen sei. Mortier sagte, er würde nie rehearsals machen, habe aber zwei Wochen vor Beginn der Dreharbeiten mit dem jugendlichen cast zusammen gearbeitet, damit Alle die Gelegenheit bekommen, einander kennen zu lernen und sich gegenseitig zu vertrauen zu können. Auch, damit die Jugendlichen die physische Stärke ihres Gegenüber besser einschätzen könnten (Zitat: „When you make films with violence, you cannot just be violent on the set and hope something will come out of it!”). Mortier habe auch eine:n Assistenten am Set, die:der ihm Bescheid geben würde, wenn es in den Gewaltszenen mal zu weit gehen sollte, damit man dann gegebenenfalls einschreiten / abbrechen könne.
Die nächste Frage bezog sich auf die Darstellung der Sozial-Arbeiter:Innen, und dass diesen durchaus auch eigene Persönlichkeiten / biographischer Hintergrund zugestanden würde(n), was ja nicht immer so wäre, bei der filmischen (Re-)Präsentation dieses Berufsstands. Mortier sagte, dass das Hauptaugenmerk des Films auf der (möglichst authentischen, Anmerkung des:der post-Autors:Autorin) Darstellung der Jugendlichen gelegen habe. Selbst Thibaud Dooms habe sich in seiner Art des Schauspiels und seiner Sprechweise auf das Niveau der Straßen-Jugendlichen begeben müssen (was hier wohl heissen soll, nicht zum overacting zu tendieren, sondern es eher realistisch zu halten). Dirk Roofthooft, der Darsteller des Sozial-Arbeiters Jos, ein in Belgien sehr bekannter Schauspieler, sei erst mit einer ganzen Menge Pathos und theatralischer Überbetonung an die Rolle herangegangen, woraufhin Mortier dann habe einschreiten müssen, und gesagt habe (Zitat): “What the fuck is this? We have to work towards the youngsters. You cannot pull yourself over their level!“ Woraufhin dann Alle ebenfalls begonnen hätten, das so zu handhaben, und ihr acting dementsprechend „angepasst“ hätten.
Fredi stelle dann noch die Frage, ob und inwiefern die Szene mit Liams „Sex-Traum“ schwierig zu filmen gewesen wäre. Mortier entgegnete, dass dem nicht wirklich so gewesen wäre, dies aber natürlich etwas sei, über das man im Vorfeld ausgiebig sprechen müsse. Die Szene sei vorher in einem Zelt am Drehort geprobt, mit Schauspieler:Innen und crew besprochen und geplant worden, um sie für die Beteiligten “safe“ zu machen. Auch für Liam-Darsteller Dooms sei das Ganze nicht unbedingt einfach und auch ein wenig weird gewesen, da dieser selbst schwul sei. Mortier habe Dooms und seiner Szenen-Partnerin gesagt, dass sie ihm Bescheid geben sollten, falls sich beim Dreh irgendetwas unangenehm und / oder nicht sicher anfühle. Beim eigentlichen Szenen-Dreh selbst wären dann nur der:die Verantwortliche für den Ton, der Kameramann und er selbst mit dabei gewesen (eine bei solchen intimen Szenen mittlerweile ja durchaus übliche Praxis), sowie noch eine weibliche Assistentin, damit auch Natali Broods, die Darstellerin der Pauline, notfalls eine weibliche Ansprechpartnerin gehabt hätte.
Eine weitere Frage bezog sich auf das Skalpieren als Rache-Methode, und wie Mortier ausgerechnet auf eine solche, doch eher ungewöhnliche Art der physischen Gewalt gekommen sei. Mortier erwiderte, dies habe teilweise bereits in der literarischen Vorlage des Skripts gestanden, allerdings nur im Bezug auf die Figur des Vaters. Da es beim Akt des Skalpierens aber auch darum gehe, dem Opfer seinen „Geist“ (“spirit“) / die spirituelle Kraft zu nehmen, und Mortier dann den Film „Scalps“ als Inspiration für Liams Rache-Akte gefunden und die Story mit eingebaut habe, hätte es narrativ Sinn gemacht, dass Liam seine beiden Eltern skalpieren würde. Die Szenen seien allerdings äußerst anstrengend zu drehen gewesen, da für Spezial-Effekte so gut wie kein Geld zur Verfügung gestanden habe, und auch das dafür nötige Wissen fehlte. Der:die Set dresser(in) habe dann aber mit Messern herumexperimentiert, und man habe am Set beim Dreh improvisiert, so dass die Kamera genau in dem Moment, als Liam das Messer ansetzt und die Kopfhaut herunterzuschneiden beginnt, vom Akt des Skalpierens weg und auf sein Gesicht sich hin bewegt. Darum habe die Szene dann auch funktioniert. Im Bezug darauf stellte Fredi dann die Frage, ob der Film “Scalps“, den der junge Liam ein ums andere Mal im Keller sich anschaut, wirklich existiere. Mortier sagte dann, er habe ursprünglich den Film “Soldier Blue“ (deutscher Titel: “Spiel mir das Wiegenlied vom Totschlag“) dafür benutzen wollen, da dieser in seinen jungen Teenager-Jahren im Alter von zwölf, dreizehn Jahren, einer seiner Lieblingsfilme gewesen sei. Die verlangten Lizenzgebühren dafür seien aber viel zu hoch gewesen, weshalb man dann schließlich auf “Scalps“ gekommen wäre, welcher auch wesentlich billiger zu lizensieren gewesen sei – und letzten Endes für das script und den fertigen Film sogar passender wäre. Da die Szenen in jenem Film noch einmal stärker veranschaulicht hätten, wie das Skalp-Nehmen letztlich zu Liams Obsession geworden ist.
Mortier ging dann noch auf die literarische Vorlage zu “Skunk“ ein, welche von einem Kinder-Psychiater namens Geert Taghon geschrieben worden ist, der 20 Jahre lang mit solchen Kindern gearbeitet habe, und erwähnte, dass der real existiert habende „Skunk“ seinen Vater skalpiert und seine Mutter verbrannt habe, um dann im Anschluss Selbstmord zu begehen, indem er sich in der Klärgrube des Hauses ertränkt habe. Mortier sagte, er habe den Suizid im Film nicht dargestellt, weil er wollte, dass Liam als Figur seine Freiheit finden sollte (das Schlussbild, in welchem er über das Feld auf ein nebelverhangenes Waldstück zuläuft).
Auf die Frage, warum Liam ständig Gewaltfilme geschaut habe, sagte Mortier, das sei seine Strategie gewesen, um in seinem Kellergefängnis überleben zu können, und um die Hölle des familiären Wahnsinns auf diese Art und Weise verarbeiten und kanalisieren zu können.
Es kam dann noch die Frage auf, ob es schwer gewesen wäre, Geldmittel für den Film auf- / einzutreiben, und ob Mortier an neuen Projekten arbeiten würde. Mortier sagte, der Prozess zur finanziellen Absicherung der Produktionskosten sei „die Hölle“ gewesen, da die staatlichen Filmförderungs-Stellen nicht an das Projekt geglaubt hätten und der Direktor des Filmförder-Instituts der Meinung gewesen sei, dass sich niemand den fertigen Film würde ansehen wollen, oder sich überhaupt für diese Kids interessieren würde – die seien doch einfach nur (sozialer) „Abfall“. Seitdem der Film in Belgien in die Kinos gekommen sei, hätten ihn aber bereits über 75.000 Menschen gesehen, (was für einen solch sperrigen und ungewöhnlichen Arthouse-Film unglaublich viel sei)… und der betreffende Direktor sei inzwischen auch entlassen worden.
Fredis letzte Frage bezog sich auf den “Skunk“-Soundtrack und die Band Amera, welche dafür ja hauptverantwortlich zeichnet. Mortier sagte, der Vater-Darsteller und Amenra-lead singer Colin und er seien gute Freunde geworden, fast schon Seelenverwandte, da sie beide die „Poesie der Dunkelheit“ lieben würden. Colin habe ihn dann zu einem acoustic concert-Gig, der direkt nach dem Ende der CoViD19-Pandemie in Belgien stattgefunden habe, eingeladen. Als er dann das Konzert verfolgt habe, sei ihm schlagartig aufgegangen, dass genau das die Musik zu seinem Film wäre. Woraufhin er sich mit der Band zusammengesetzt und ihnen geschildert habe, wie er die Geschichte sehe und verstehe, was er von der Musik erwarte, und was er nicht darin haben wolle. Und er habe dann etwa dreiviertel dessen, was die Band letztlich an Musik dazu geschrieben habe, in den Film übernommen. Die Filmmusik ist inzwischen wohl auch als Album veröffentlicht worden.
Nach dem Ende des Q&A und nachdem alle Fans ihre ganzen Blu Rays, DVDs und sonstigen Devotionalien hatten signieren lassen, habe ich dann noch die Gelegenheit ergriffen und Mortier im persönlichen Gespräch nach seinen nächsten Projekten (die Frage hatte er im Q&A nämlich unbeantwortet gelassen) sowie auch nach seinem Film „Un Ange“, den er beim Q&A auch mal kurz erwähnt hatte, und er sich recht enttäuscht darüber gezeigt hatte, dass den kaum jemand von den Anwesenden gesehen hatte, gefragt. Zu „Un Ange“ meinte er, dass dies sein bisher schönster Film sei, und war offensichtlich sehr stolz auf ihn – leider scheint es davon aber keine Blu Ray oder DVD mit englischen Untertiteln zu geben. Zu kommenden Filmprojekten / Ideen sagte er, dass er an einem Skript über die (überaus brutalen) Kautschuk-Aufstände, die im Kongo Ende des 19ten Jahrhunderts sich ereigneten, arbeiten würde (wenn ich das richtig verstanden habe, war da wohl der Arbeitstitel „Gung Ho“, kannn aber auch sein, dass ich ihn da missverstanden habe), und auch noch eine andere Film-Idee in seinem Kopf langsam Gestalt annehmen würde, es da aber noch zu früh wäre, irgendwas darüber zu sagen.
Ein wirklich netter und umgänglicher, überaus lockerer und sympathischer Zeitgenosse auf alle Fälle, und mit einem wirklich angenehmen, trockenen Humor gesegnet. Toller Gast, und ich war froh, dass ich den mal habe persönlich kennenlernen / treffen können.
Zum Abschluss noch zwei Fotos mit cast und crew von „Skunk“ (vom Filmfestival Oostende):