Obwohl der Film auf mich erst ziemlich leicht verständlich wirkte, bin ich mir jetzt doch nicht mehr so sicher, ob nicht doch mehr dahintersteckt. Wie habt ihr die erste und die letzte Szene interpretiert?
Am Anfang sieht man ja die Schule, überall ist Blut, Polizisten kommen gerade an. Die Szene erinnert an den Columbine Amoklauf, was von den Filmemachern ja als zeitliche Eingrenzung bestätgt wurde. Aber anscheinend ist hier nur ein großer Hirsch durch das Fenster gesprungen und in einem Klassenzimmer verendet. Wobei mir nicht ganz klar war, weshalb dann der Flur ebenfalls voller Blut ist… Jedenfalls sehen wir Allison, wie sie die Szene beobachtet. Zuerst dachte ich, dass das einfach nur Foreshadowing ist. Später wird etwas noch grausameres passieren. Aber inzwischen frage ich mich, ob wir die Szene bloß aus Allisons traumatisierte Augen sehen, und das in Wahrheit gar kein Hirsch ist, sondern ein getöteter Amokläufer? Dafür würde sprechen, wie die Polizisten ihn nicht wie ein Tier behandeln, wütend nach ihm treten (wenn ich mich richtig erinnere) und dass eben auch die Flure voller Blutlachen sind. Vielleicht spielt die Szene nach allem anderen?
Dann das Ende. Wir sehen Allison an ihrem Spind stehen, und zwar auffallend lange. Sollen wir dort etwas erkennen? Vielleicht den Stundenplan? Das würde nur Sinn ergeben, wenn er uns etwas sagen kann. Handelt es sich vielleicht um einen Stundenplan von dem Tag, an dem Columbine stattfand? Ist Allison nach den Erlebnissen mit Josh und Zach also dort gewesen und das ist die Verknüpfung zu einem realen Ereignis?
Oder spinne ich nur rum?
Dagegen sprechen würde natürlich, dass die Columbine Schützen gemeinsam Selbstmord begangen haben und die Situation deshalb nicht eins zu eins passt.
Oh, das ist ein sehr interessanter Ansatz für die erste Szene, da sie für mich äußerst unzusammenhängend zum Rest des Films war. So würde das aber einen Sinn ergeben. Ich glaube, da braucht es eine Zweitsichtung.
Das sind für mich überraschende Gedanken zum Film aber ehrlich gesagt momentan auch weit hergeholte. Allerdings auch irgendwie ein interessanter Interpretationsansatz. Ich bin nicht ansatzweise auf die Idee gekommen hier irgendetwas mit einem Amoklauf oder Colombine in Verbindung zu bringen. Woher hast du denn die Information? Wenn zur Deutung Informationen aus realen Gegebenheiten notwendig sind, finde ich das jedoch ganz schlecht gemacht, denn jeder der diese nicht hat, keine Interviews mit den Filmemachern gelesen hat, wäre hier aufgeschmissen. Oder siehst du wie der Film das aus sich selbst heraus erklären kann?
Ich kann mich jedenfalls nicht gut genug an die Konstellation der Szene erinnern um hier etwas konkretes, aufschlussreiches dazu zu sagen und müsste ihn ein zweites Mal schauen.
Allerdings behandeln sie den Hirsch schon wie ein Tier: Durch die Tritte wird das Genick gebrochen (Gnadentod) - einen Schuss abgeben können die Polizisten in der Schule ja schlecht. Aber ich würde mir trotzdem wünschen, dass die Szene so gedeutet werden kann, weil es den Film nochmal aufwerten würde in meiner Wahrnehmung (und der Szene mehr Gewicht verleiht, weil sie ansonsten für sich allein steht und man auch den Polizisten nie wieder sieht, obwohl er in der Szene wie eine Person inszeniert ist, die für die Handlung noch wichtiger wird). Hmmmmm…
Mit noch etwas mehr Nachdenkzeit finde ich meine Theorie auch etwas zu weit hergeholt, aber mir geht es da wie CineManiaX: Ich wünschte, sie wäre wahr, weil ich sehr gerne noch eine Ebene mehr im Film hätte. Und vielleicht sind ja zumindest ein paar Details überlegenswert.
Zum Hirschtritt: Ich habe inzwischen in mehreren Reviews gelesen, dass der Hirsch so getötet wurde, also habe ich das wohl falsch gesehen. Mir kam das in dem Moment so seltsam vor, weil ich mir dachte, dass man doch durch den Tritt doch kein so großes Tier töten kann… aber ich habe halt auch gar keine Ahnung von Anatomie.
“A harrowing but meticulously observed look at teenage lives in the era prior to the Columbine High School massacre,” reads the official synopsis.
Ich hatte das auch an anderer Stelle gelesen, als der Film angekündigt wurde. Natürlich sagt das nichts darüber aus, ob der Amoklauf eine Rolle für die Handlung spielt, sondern ist bloß eine zeitliche Einordnung. Aber mir ist das im Kopf geblieben und vielleicht hat mich deshalb die Anfangsszene direkt an Columbine denken lassen.
Aber wie interpretiert ihr denn z.B. die letzte Szene? Wieso wird Allison noch einmal in der Schule gezeigt? Nur um zu sagen, dass ihr Leben weitergeht? Mir kam das so seltsam vor, als hätte ich irgendetwas verpasst…
Nach dem Film hatte ich mit Frank drüber gesprochen und daraus folgende Erkenntnis erlangt. Der Film erzählt eine Art Kreislauf des Lebens: Am Anfang steht der Tod (Hirsch) und am Ende das (zweite) Leben. Allison hat es überlebt und lebt nun wieder ein normales Leben, darum der Abschluss in der Schule.
Ich deute das ähnlich wie todi. Und glaube, allzu viel sollte man ansonsten auch nicht in die Handlung hineinzuinterpretieren versuchen – ich sehe dafür jedenfalls bislang keine Gründe.
Aber man kann ihn ja bald noch mal sichten und das alles überprüfen
Er erscheint am 17.11. auf Blu-ray.
Mit diesem als Referenzpunkt habe ich übrigens tatsächlich mal eine Uni-Hausarbeit in Filmtheorie über “Das Kreis-Symbol und seine Bedeutung” geschrieben… vielleicht sollte ich die mal raussuchen
Mir waren die vielen Close-Ups von Objekten aufgefallen und Frank hatte mich dann im selben Gespräch drauf gebracht, dass die tatsächlich alle rund sind, wie auch in meinem Review erwähnt.
Ich denke die Eröffnungsszene ist definitiv dazu da, um gewissermaßen einzuläuten wie überfordert die Polizei bereits mit einem “Hirsch-Unfall” in der Schule ist. Die verstörend heftige Art, das Tier von seinem Leid zu erlösen lässt für mich zumindest diesen Schluss zu. Der Polizist sah aus meiner Erinnerung eher verstört aus als wütend, in dem Moment, in dem er auf das Tier eintritt.
Direkte Parallelen zu Columbine sehe ich da nicht, aber durch die erfreulicherweise dezenten Hinweise, dass man sich in den 90ern befindet, durchaus eine Deutungsmöglichkeit in puncto Aussage des Films und in welcher Art von Welt ein Columbine passieren konnte und nicht umsonst spricht ja bereits der Titel von “unglaublich düsteren Zeiten”.
Interessante Erklärungsansätze. Danke dafür. Wir waren nach diesem Film unglaublich lange in Diskussionen zur Thematik vertieft, haben diese Hirsch-Szene aber komplett verdrängt/vergessen.
Btw: hat irgendjemand eine Liste der Songs, die im Film liefen? Die scheint es nirgends zu geben, außer dem Soundtrack von Ben Frost natürlich…
Genau! Und ich bin trotzdem nicht darauf gekommen im Tod des Hirsches am Anfang und im Neubeginn von Allison’s Leben am Ende auch diesen Kreislauf zu sehen. Manchmal sieht man den Kreislauf vor lauter Kreisen nicht mehr. Danke.
Nicht viel aber ein Anfang. Ansonsten auf den Webseiten Tunefind und What Song reinschauen, wenn der Film irgendwann abseits des Festes irgendwo läuft.
Der Film ist „super“, man sollte nur den Vergleich zu Donnie Darko einfach nicht machen oder deutlicher machen welche Aspekte Ähnlichkeiten zu Donnie aufweisen.
Nö, „super“ finde ich ihn leider nicht (obwohl ich es wirklich gern gewollt hätte), sondern nur ziemlich gut. Er hat in meinen Augen diverse Schwächen, ganz unabhängig von falschen Vergleichen. Hab ich in meinem Review auch angerissen:
Interessante Punkte, die du anführst und du kommst ja auch zu sehr guten 7 Punkten immerhin, trotzdem hab ich einiges davon aus einem ganz anderen Blickwinkel wahrgenommen.
Ein Beispiel: einen gängigen Weg einzuschlagen, um einen Film zeitlich zu verorten ist, auf sofort erkennbare Lieder, Looks oder sonstige Dinge zu setzen, die förmlich schreien „seht mich an, ich bin aus den 80ern. 80er! 80er! 80er!“. Serien wie Bojack Horseman persiflieren sowas aktuell sehr unterhaltsam:
Das kann aber leider oft auch dazu führen, dass viel zu viel Bewandtnis auf eben diese Zeit gelegt wird und nicht jede Story will unbedingt vermitteln, wie wichtig es ist, dass sie in eben dieser Zeit spielt. Konkret diesen Eindruck hatte ich dann etwa auch bei Super Dark Times. Hält man einen neueren Kinotitel wie Atomic Blonde dagegen, setzt der etwa bewusst auf massiv bekannte Details aus den 80ern, um ihn eben mit jeder Pore dort zu verorten.
Dass SUPER DARK TIMES nicht mit brachialer Deutlichkeit auf seine Verortung in den 90ern hinweist, habe ich gar nicht als Kritik gemeint – aber vielleicht liest sich das so. Nein, das ist eigentlich eher wertneutral gemeint, denn so etwas macht für mich einen Film nicht automatisch besser (oder schlechter).
Ich habe das in meinem Review nur so ausführlich erwähnt, weil es in diversen Presse- und Promotiontexten immer wieder hieß, der Film sei ein so entscheidend in den 90ern verankerter Film, wie es bei DONNIE DARKO (oder auch STRANGER THINGS) in den 80ern der Fall ist. Ähnlich wie der Verweis auf DONNIE DARKO an sich ist aber auch die Thematisierung des Jahrzehnts, in dem er spielt, in solchen Texten – bzw. die Behauptung einer essentiellen Wichtigkeit dieser Dekade für das Filmerlebnis – irreführend. Darauf wollte ich abheben.
Bei ATOMIC BLONDE ist diese Verortung in den 80ern übrigens gehörig schief gelaufen. Ich komme aus Berlin und war 1989 durchaus schon ein reflektierendes Lebewesen. “99 Luftballons” und “Major Tom” waren definitiv nicht die Songs, die da noch irgendjemand gehört hat
Da ich den Film inzwischen noch zwei Mal gesehen habe, sind mir noch ein paar Dinge aufgefallen.
Die Handlung ist zeitlich ganz exakt verortet. Im ersten Filmdrittel sieht Zach im Fernsehen eine Rede von Bill Clinton - diese hielt jener am 1.12.1995 in Dublin. Später ist dann auch mehrfach Weihnachtsdekoration zu sehen.
„Super Dark Times“ passt insofern auch zum zeitlichen, dem winterlich trüben Setting. Die letzten Szenen, die Allison zurück in der Schule zeigen, sind dagegen im strahlenden Sonnenschein eines auf den Winter folgenden Frühlingstages geradezu gebadet.
In der allerletzten Szene sitzt Allison im Klassenraum und löst ihre Haare. In ihrem Nacken sind Narben von Joshs Samuraischwertattacke erkennbar. Abgesehen davon spiegelt diese Szene exakt eine vom Anfang des Films, in der Zach sich erinnert, wie er sich erstmals in Allison verknallt hat. An seiner statt sitzt nun ein anderer, dunkelhaariger Junge auf dem Platz hinter ihr - und verknallt sich in diesem Augenblick ganz offensichtlich ebenso in sie.
Einer von Joshs halluzinierenden Tagträumen - spielend im Wald, wo Daryls Leiche hinterlassen wurde - ist eine sehr deutliche Reverenz an Lars von Triers ANTICHRIST
Stilistisch oder in seiner Konsequenz gibt es zwar kaum Ähnlichkeiten, der Plot von SUPER DARK TIMES weist aber eine Menge Parallelen zu dem von MEAN CREEK (2004) auf. Der übrigens ebenfalls sehr empfehlenswert ist.
Zur Eröffnungsszene habe ich in zwei Reviews interessante Deutungsansätze gefunden:
-„The scene is disturbing without being sensationalized, inhabiting an ambiguous space between reality and nightmare, and in retrospect forms an appropriate introduction to the violence to come: As so often in movies, suburbia and high school offer only a façade of safety.“ http://variety.com/2017/film/reviews/super-dark-times-rotterdam-film-review-1201975932/
…und vor allem:
„Its opening scene captures the death of a deer, maybe the world’s most inherently unsettling animal whose only sin is freaking out in a world that simply isn’t built for it. We begin to believe, over the course of the film, that perhaps people are similarly ill-fated.“ https://www.pastemagazine.com/articles/2017/04/super-dark-times.html
Ach so, der Regisseur selbst hat sich auch explizit zu dieser Szene geäußert:
„It wasn’t originally there. It was something I brought to Ben [Collins] and Luke [Piotrowski], our writers on the film, and the impetus was a deer crashing through my school. It wasn’t anything I’d seen, but it was always something that was talked about among students, and it was something that had planted itself in my brain.
The film takes place in the Nineties, and these were very formative years for us growing up. Finding ourselves back in that world while crafting this story, it came to mind. We wanted to bring the audience into the visual grammar of the movie, into the tone of the film, as well as act almost as an omen, as well as a metaphor for what follows.“
Uuuuund wo wir schon bei Deutungen sind, das sagt Owen Campbell, der Zach-Darsteller, über die Aussage des Films:
„If you strip away all the trauma of the film’s plot, it’s just simply about a guy seeing his best friend, who’s been close and safe with him their whole lives, suddenly stepping into a new different world.”
(Quelle leider gerade verlegt.)
Die Eröffnungsszene lässt tatsächlich wesentlich mehr Spielraum zum Spekulieren zu, als sie offensichtlich hat. Ich fand die Szene auch insofern so seltsam und denkwürdig, als das alle Anwesenden über alle Maßen entsetzt wirkten, allen voran der Cop. Natürlich ist das kein tolles Bild so ein Chaos und ein toter Hirsch aber das Entsetzen war schon sehr extrem bis hin zu Aussagen wie „Davon darf niemand etwas erfahren, ist das klar!?“ Nun, es war halt dann doch nicht mehr in der Szene als eine Unheilsankündigung.
Ja, genauso sieht es aus. In sich aber eine gute geschlossene Szene. Dabei sind mir die Narben nicht einmal aufgefallen. Aber wo ihr alle die Ringe gesehen haben wollt, ist mir schleierhaft.