The Substance - Diskussion mit Spoiler

Hab’ nun - auch ohne Zweitsichtung - nochmal versucht, ein paar meiner Gedanken zu „The Substance“ und dessen wahnhafter Obsession mit Oberfläche / Oberflächlichkeit zu ordnen.

In Style-Gewittern

Coralie Fargeats „The Substance“: Eine verunsichernde All out Attack on the senses

„Remember: You are one!“, sagt die Stimme am anderen Ende der Leitung, eine Art Über-Ich, die äussere / veräusserte Super-Instanz, welche Elisabeth Sparkle eindringlich davor warnt, zu vergessen, dass sie und ihr neu erschaffenes Klon-younger self Sue nurmehr zwei Seiten einer Medaille sind, zwei Körper, die aber dennoch voneinander abhängen, einander bedingen. Zwei Körper, die ein und demselben Schönheits-Ideal anhängen - Ewiger Jugend und Schönheit, wie sie dereinst auch einer anderen fiktiven Person versprochen ward: Dem amoralisch-grausamen Dorian Gray, der Hauptfigur von Oscar Wildes einzigen Roman. Und wie zuvor einst Gray, so experimentiert auch die jugendlich-frische Sue als verbesserte Version von Elisabeth mit ihrer neugewonnenen Freiheit, geniesst sie die vermeintlich ihr, in Wahrheit aber nur der Idee von ihr als media’s newest beauty queen zuteil werdende Aufmerksamkeit, sonnt sich im Glanz des erneut auf sie fallenden Scheinwerferlichts. Während Elisabeth, zunehmend auf den begrenzt-beengenden Raum ihres Apartments verwiesen, ein Leben im Schatten führen muss, da sie sich als dem Alter und Verfall Ausgesetzte nicht mehr in der Lage sieht, eine Existenz in der Öffentlichkeit zu führen, oder überhaupt nur ein Anrecht darauf zu haben, und alsbald all dem unterdrückten Verlangen nachgeht, und den Versuchungen sich hingibt, denen ihr juveniles Alter Ego entsagen muss, will sie on top of the game bleiben. In gleichzeitig abstossend-anekelnden, aber auch opulent-deliziös gefilmten Szenen von Essenszubereitung und Verzehr gibt sie sich exzessiven Koch-und Völlerei-Orgien hin, versucht mehr und mehr, Sues anderes Leben zu sabotieren. Die mühsam unterdrückten Impulse und das unterbewusste Begehren der Einen beeinflussen zunehmend das Sein und (Er-)Leben der Anderen. Was dann in ersten seltsamen Disruptionen seinen Ausdruck findet - beispielsweise, wenn Elisabeths Körper zunehmend rapider Verwesung ausgesetzt ist, weil Sue es ohne Rücksicht auf ihr zweites Ich mit ihren sexuellen Ausschweifungen und Party-Eskapaden übertreibt, oder Sue sich - in einer absurden Sequenz voll inhärent-widerlichen Spotts - während der Aufzeichnung ihrer Sex-Aerobic- / Sexrobic-TV-Show einen Hühnerknochen aus dem Bauchnabel zieht.

In den Einstellungen der Sexrobic-Show, deren Bilder hier als wortwörtliche Arbeit am Selbst, allerdings ausschliesslich am Körper-Selbst gezeigt werden, offenbart Fargeat dann die work ethic dieser Beauty-Industrie. Der Kamerablick zerschneidet und zerstückelt den weiblichen Körper, zerlegt ihn, in einer Entsprechung der üblichen Fitness-Routinen - Bauch, Beine, Brust, Po - einem filmisch-visuellen Schlachthaus gleich in seine Einzelteile. Die Frau als durch den objektivierenden male gaze fleischgewordene Beschauung, die kein Ganzes mehr ist, mehr sein darf. Durch den glänzend-plastikhaften look, welchen Fargeat in diesen Sequenzen der Haut als Oberfläche des Körpers aufträgt und angedeihen lässt, wird ebendieser Prozess der Objekthaftigkeit des Weiblichen allerdings als genau solcher ausgestellt und entlarvt: Die Erzeugung von „Frau“ als Produkt des und für den männlichen Blick(s), als zu konsumierendes und konsumierbares „Ding“. Kein selbstbestimmtes Ganzes mehr, sondern nur noch eine immer bloß ungenügende Summe ihrer einzelnen Bestandteile. Fleischbeschau als plastikhafte Warenförmigkeit. Ein spätkapitalistischer Sexismus, der seine verdinglichende Einfluss-Sphäre längst auch auf unsere Körperlichkeiten und unser Selbstverständnis von diesen ausgedehnt hat. In einer repräsentativ-emblematischen Szene versucht sich die ältere Elisabeth, als sie doch einmal den zaghaften und letztlich zum Scheitern verurteilten Versuch unternimmt, die Mauern ihres selbstgewählten Gefängnisses zu verlassen, und sich auf ein date mit einem alten Schulfreund zu begeben, vor dem Spiegel zu schminken und zurecht zu machen. Allein, immer genau dann, wenn sie gerade der Überzeugung ist, jetzt sei doch endlich Alles perfekt, ihre Selbstzurichtung abgeschlossen, entdeckt sie doch immer noch etwas, das es vermeintlich zu verbessern gäbe. Ein endlos-überfordernder Prozess der Oberflächen-Optimierung, der nie abschliessbar bleibt, und Elisabeth letztlich völlig zerzauselt und verunstaltet vor ihrem eigenen Spiegelbild zurücklässt. Das immer etwas zu basstiefe Sound Design, dessen Effekte von auf den Boden klatschender und umher glitschender nackter Körper, der wummernd-pulsierende Soundtrack, die unsere Sehnerven wegätzende neongrell-knallige Farbgebung sowie die extrem weitwinklige, blickverzerrende und unser Verständnis von Räumlichkeit attackierende Kameraoptik tragen allesamt dazu bei, dieses In-Szene-Setzen von beauty norms and normativity zu eben keinem glatt konsumierbaren Vergnügen zu machen, sondern in den Zuschauenden ein beunruhigend-beklemmendes Gefühl von Unappetitlichkeit, Unwohlsein, gar Übelkeit zu erzeugen. Und so, wie sich die Körper mit fortschreitender Laufzeit zu zersetzen und zu zerfallen beginnen, so zersetzt sich nach und nach auch immer weiter die stilistisch-narrative Oberfläche, beginnt darunter der diskursive Kern von Fargeats Body horror-Farce offenbar zu werden - und das ist, soviel Wortspiel sei gestattet, wahrlich kein schöner Anblick.

„Please give me a better version of myself!“, sagt Sue, kurz bevor sie versucht, sich ein weiteres, letztes Mal selbst zu optimieren, ein neues, vermeintlich „besseres“ Ich zu erschaffen versucht, welches dem beständig shiftenden, selbst-verinnerlichten männlichen Blick gefallen und standhalten möge - einem Blick, aus dessen verachtungsvoller Perspektive die angebliche Schönheit der Frau, wie sehr sie sich auch abrackern und abplacken mag, ihm nie entsprechen kann. Und doch wieder nur daran scheitert, und durch und in ebendiesem Scheitern endlich das grauenhafte-verwachsene Zerrbild all der Versionen von Weiblichkeit offenlegt, zu der sie und Elisabeth inzwischen geworden sind - eine Monstrosität enthüllt, die der Film eigentlich schon die ganze Zeit über war. „Seht her“, scheint Fargeat uns mit wutbebender Stimme zuzurufen, „das ist es, was Ihr und Eure perserve Besessenheit mit Schönheit aus uns Frauen macht, was wir Frauen durch unser zwanghaft-obsessives Bemühen, unseren eigenen, unerreichbaren Weiblichkeits-Idealen zu genügen und entsprechen, aus uns selbst machen!“

Am Ende, wenn Fargeat im grotesk-grössenwahnsinnigen Finale den Sack zu- und alle Körperöffnungen aufmacht, wenn das Publikum der Silvester-Show stellvertretend für uns Zuschauer:Innen im Blut all der Frauen gebadet wird, welche seiner sexistisch-misogynen Obsession mit einer Weiblichkeit, die sich selbst und Anderen nie genügen wird können, zum Opfer gefallen sind, dann, und erst dann, hat „The Substance“ vollkommen zu sich selbst gefunden: Eine bizarr ausgestellte Feminität, die in all ihrer gewordenen Deformität endlich nicht mehr sich selbst, sondern den verzerrend-entstellenden Blick von uns Allen entblösst.

Eine Widerspiegelung, der vermutlich längst nicht Jede:r gewachsen sein dürfte.

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