Auch, wenn ich noch etwas bezweifle, ob sich nun um genau diesen Film eine grössere Diskussion entspinnen mag - Aber, um mit meiner Entgegnung auf / Auseinandersetzung mit @todaystomorrow s review zu „Vampire humaniste cherche suicidaire consentant“ nun nicht den ganzen „FFF 2024“-thread zu „verstopfen“ und vollzukleistern, und weil ich durchaus auch der Meinung bin, dass dieser betörenden coming of age-Vampirromanze einfach auch ein eigener thread zusteht, hier nun mal die „Auslagerung“ meiner Gedanken zu Ariane Louis-Seizes blutsaugend-verzaubernder Aussenseiter:Innen-dramedy.
Also: Was mich relativ schnell für „Vampire humaniste…“ eingenommen hat, ist tatsächlich genau diese von Dir ja eher kritisch gesehene Unentschlossenheit im Ton, dieses unsicher-hin-und-her-Schwankende der Inszenierung, diese rastlos-suchende Pendelbewegung zwischen todessehnsüchtig-tragisch und lakonisch-komisch… weil ich es als überaus stimmig und genau passend für die im Film abgehandelten Erfahrungs- und Gefühlswelten heranwachsender Jugendlicher / adoleszenter Teenager:Innen empfunden habe. Das Sich-im-Unklaren-über-die eigenen-Gefühle-Sein, dieses Scheu-Zaghafte, Tastend-Unbeholfene einer Jugend, die weder ganz erwachsen ist, noch vollkommen der Kindheit entwachsen - sich in einem verunsichernd-selbstzweifelhaften Dazwischen befindet, und erst noch mühsam lernen muss, all diese neu erwachenden Gefühlsregungen und körperlichen Veränderungen (wie ich in meinem review zum Film bereits schrieb, und es auch @splattercheffe in seiner Replik auf Deine Kritik ja schon erwähnt hat: „[…] Und natürlich hat die Tatsache, dass einer jungen Vampirin die Fangzähne nicht wachsen wollen, bzw. dies erst in Sorge um den heimlich angebeteten Geliebten tun, noch eine andere Bedeutung, als nur die offensichtliche.“ Genauer gesagt ist hier (die ja bei der Vampir-Penetration unterschwellig immer mitlaufende Bedeutung des Beissens und Gebissenwerdens als Akt des Koitus) der nicht gerade versteckte Subtext, nämlich das Erwachen von sexuellem Begehren, ja genau genommen die offensichtliche Bedeutung.), in das eigene Selbstbild und den Umgang mit Anderen / der sozialen Umwelt zufriedenstellend zu integrieren. Ich zitiere nochmal aus meinem review, um den ganzen Sermon nicht wieder neu formulieren zu müssen: „Vampire humaniste…“ hat diesen mich jedes Mal wieder betörenden Touch des juvenil-Verzagten, des todessehnsüchtig-Melancholischen, der zu großen Gesten und kleinen Momente von jugendlicher Flüchtigkeit, die bittersüsse Schwere und schwerelose Leichtigkeit der Adoleszenz, wie ich sie erst im April auch im ebenfalls ganz wunderbaren „La morsure“ wiedergefunden habe - nur dass diese Vampir-Story nicht so drängend-ungestüm daherherkommt, sondern mit schlichter Stille und aufrichtiger Grösse im ganz Kleinen das schönste und allumfassendste aller Gefühle abbildet - die Liebe."
Und das ist dann auch der der Punkt, an dem wir in unseren Sichtweisen vielleicht am Stärksten auseinandergehen, oder bei ähnlicher / fast gleicher Analyse zu ganz anderen Schlussfolgerungen kommen: Für mich funktioniert die Liebesgeschichte nämlich überraschend gut, trotz und vielleicht auch gerade wegen der Tatsache, dass der Film dabei nicht allzu sehr versucht, das kompliziert-verworrene Seelenleben und postpubertär-hormonale Gefühls-Chaos seiner beiden Protagonist:Innen bis in den letzten Winkel zu ergründen. Im Gegenteil kommt mir diese von Dir eher oberflächlich wahrgenommene Art der Darstellung sogar entgegen. Weil eben die Beiden ja selbst noch lernen müssen, sich ihre emotions und Empfindungen selbst einzugestehen, und dann in einem nächsten Schritt auch artikulieren zu können. Diese ganze juvenile awkwardness, dieses beständige Zurückschrecken vor dem Überschwang der eigenen innersten Empfindungen, von denen das jugendliche Selbst noch nicht weiss, wie es sie nach Aussen transportieren / ihnen Ausdruck verleihen kann… dieses ganze momenthaft-flüchtige Sehnen, zögerlich-verhärmte Hingeworfene, dieses tapsig-unbeholfene Hin-und-Her-Oszillieren zwischen überbordend-verschwenderischer Hingabe und still-scheuer Verschlossenheit, all das fängt „Vampire humaniste…“ für mich beinahe perfekt ein. Was die Schlüsselszene und das Herzstück des Films, der Tanz der Beiden zu den Klängen von Brenda Lee’s „Emotions“, noch einmal sinnbildlich grandios verkörpert. Wie da Beide schüchtern-verschämt nebeneinander stehen, sich verstohlene Blicke zuwerfend, und dann zu den ersten Takten ganz langsam und dann immer expressiver / mutiger ihrem inneren, bislang unterdrückten / vielleicht noch nicht einmal wahrgenommenen Begehren in ungelenken Tanzbewegungen Ausdruck gebend, und sie dann urplötzlich vor dem Ausmaß ebendieser Gefühle, als sie sich deren voller Größe und Intensität bewusst wird, zurückschreckt, das ist für mich ganz große Schauspielkunst, und die bislang vielleicht schönste Szene des ganzen bisherigen Kinojahres (und ja, das schliesst vermutlich auch den von mir abgöttisch verehrten „Furiosa: A Mad Max Saga“ mit ein). Das mühsam Unterdrückte der zart erwachenden Gemütsregungen, die, wenn sie erst einmal anerkannt und zugelassen werden, gerade in so jungen Jahren und im Falle der ersten großen Liebe, eine überschwenglich-überfordernde Wucht erreichen mögen, eine beängstigend-überwältigende Kraft erlangen können, dass Einer:einem selbst in Angesicht all dessen Angst und Bange werden kann. Allein für diese wundervolle Sequenz kann ich gar nicht anders, als den Film beinahe zu Tode (und darüber hinaus) zu lieben.
Aber „Vampire humaniste…“ schafft es - zumindest nach meinem Dafürhalten - auch ansonsten beinahe schwindelfrei und überaus trittsicher, die Balance auf dem schmalen Grad zwischen Humor und Tragödie, zwischen Drama und Komik, zwischen Depression und Lebensfreude, zwischen Trauer und Heiterkeit zu halten. Von der Figur des JP war ich, als er in dem Film eingeführt wurde, anfangs schwer angepisst, und dachte erst, dass er mich zu Tode nerven würde - und dann konnte ich aber gar nicht anders, als, wann immer er mit einer seiner zum Wegschmeissen komischen „Jetzt lasst mich doch mal ran!“-Aktionen auf den Plan trat, und sich in seinem drömeligen Slackertum und seiner dusseligen Selbstüberschätzung ein ums andere Mal zum Voll-Horst und Ober-Loddel machte, mich vor lauter Lachen gar nicht wieder einzukriegen. Und hätte endeffektiv tatsächlich gerne sogar noch mehr von dem gesehen.
Wie schon von @splattercheffe erwähnt: Letztlich ist das Alles auch eine Frage des eigenen Geschmacks, der persönlichen Sichtweise und individuellen Gewichtung bestimmter filmischer Aspekte. Und auch, wenn „Vampire humaniste…“ jetzt auch in meiner Perspektive kein Instant All Time Classic ist, oder gar in die Top Ten meiner persönlichen Vampirfilme-Bestenliste Eingang finden wird, und er längst nicht die Gravitas und tief anrührende Bedeutungsschwere eines „Let The Right One In“ erreichen mag (dessen Tonalität und Ausrichtung aber auch eine ganz andere ist, wie ebenfalls bereits von Anderen herausgestellt) - in seiner Intensität, selbst wenn sie eine flüchtigere, momenthaftere ist, steht er diesem in meinem Dafürhalten dennoch in nichts nach. Er ist eben etwas leichtfüssiger, all seines Seelendramas zum Trotz bedeutend unbeschwert-unbefangener im Umgang mit / der Darstellung von seinen durchaus ernsthaften Thematiken, gewinnt diesen dadurch aber auch - gerade und vor Allem auch angesichts der Lebensüberdrüssigkeit dieser zwei sich bereits verloren geglaubt habenden gesellschaftlichen out siders, die sich in ihrer emotionalen Verschlossenheit im jeweils Anderen wiedererkennen, und angenommen fühlen - eine lebensbejahende Freude an der irdischen Existenz und dem metaphysischen afterlife-Dasein und einer inneren Verbundenheit über den Tod hinaus ab, die dem schwedischen Vorstadt-coming of age-Drama über weite Strecken doch eher abgeht.
Ich schrieb es zuvor bereits: „Ein Love Song in the middle of the night, zu dem zwei todtraurige Seelen im gemeinsamen Rhythmus ihrer laut klopfenden Herzen tanzen, ganz schüchtern und vorsichtig zuerst, dann immer trittsicherer, zu einer Melodie, die nur sie Beide hören und nachempfinden können.“
Ich für meinen Teil werd’ den Teufel tun, sie bei diesem innig-versunkenen Tanz der Gefühle auch nur einen Moment lang zu stören.
Aber diese Melodie, die kann ich - so ähnlich - aus jüngeren, längst vergangenen Jahren auch noch erinnern.
Damals, als man meinte, die ganze Welt würde Einer:Einem gehören, und man doch noch so wenig mit ihr anfangen konnte.
Als die erste große Liebe noch Alles bedeutete, das ungestüm-ungezügelte Begehren noch unendlich schien.
So dauerhaft endlos wie die Ewigkeit, die zwei junge Liebende für immer in ihren Herzen miteinander teilen.