Vier Empfehlungen (und eine Warnung) aus meinem Heimkino.
RUN
Besonders originell ist dieser Thriller nicht, der „Twist“ ist schneller klar, als man fehlerfrei „Munchausen by proxy“ aussprechen kann. Darüber hinaus stand das Thema gerade erst in zahlreichen namhaften Serien wie SHARP OBJECTS, THE POLITICIAN oder THE ACT im Mittelpunkt. Aber sei‘s drum, der Film macht selbst nicht lange ein Geheimnis daraus und lebt vielmehr von der psychologischen Bedrohung, der sich die Hauptdarstellerin ausgesetzt sieht – sowie natürlich von den Performances. Aneesh Chaganty, Regisseur des ebenfalls soliden SEARCHING liefert mit RUN einen okayen Thriller ab, der nach Hitchcock und King schielt, deren Klasse aber nie erreicht. Aber wer sich eine illegitime TV-Fortsetzung von MISERY wünscht, wird hier ganz gut unterhalten.
HAPPY TIMES
Eine Dinnerparty unter israelischen Verwandten und Bekannten in einem noblen Anwesen in L.A. entgleist aufgrund aufgestauter Animositäten, Neidereien, Eifersucht, Drogencocktails, Alkohol, Dickpics, herumliegender Waffen und einer Verkettung unglücklicher Umstände. Was als subtil bissige Satire im Stil früherer Almodóvar-Filme wie FRAUEN AM RANDE DES NERVENZUSAMMENBRUCHS beginnt, wird zunehmend abstruser und blutiger, bis sich am Ende in jedem Zimmer die Leichen türmen. Eine herrlich böse schwarze Komödie, kurzweilig, turbulent und immer kurz vor der Hysterie, aber nie nervig, die durch ihren hebräisch-englischen Sprachmix zusätzlichen Charme gewinnt.
ECHOES OF FEAR
Schon Brian Avenet-Bradleys DARK REMAINS (2005) war ein gelungener kleiner Schocker, den richtigen Durchbruch hat er leider noch nicht geschafft. Sein jüngster Low-Budget-Horror mit dem 08/15-Titel ECHOES OF FEAR hat zwar seine ganz offensichtlichen Limitierungen (Ausstattung, Kamera, Schauspiel, Regie, Pacing), aber er hat Ambitionen, die deutlich über einen durchschnittlichen Haunted-House-Spuk hinausgehen. Daraus wird zwar kein zweiter I SEE YOU, aber zumindest bietet der Film eine spooky Atmosphäre, eine spannende Entwicklung, mit der man so nicht gerechnet hätte und mindestens einen so effektiven Jumpscare, dass einem noch Minuten später die Nackenhaare zu Berge stehen.
THE DARK AND THE WICKED
Papa liegt im Sterben, Mama verliert den Verstand und die erwachsenen Geschwister sehen sich zudem noch mit der Inkarnation des Leibhaftigen konfrontiert. Regisseur Bryan Bertino hat den großartig spannenden THE STRANGERS, aber auch den unterdurchschnittlichen THE MONSTER geschrieben und inszeniert sowie das miese STRANGERS-Sequel produziert. THE DARK legt nahe, dass THE STRANGERS wohl ein Glücksgriff war. Der Film scheitert vor allem an seiner Überambitioniertheit. Hier wird wirklich alles zusammengeworfen, was geht – Geschwisterzwist, Abschied von den Eltern, Heimsuchung und Horror. Sinn macht das alles nicht, es nervt vielmehr. Schade auch um die ansonsten immer charismatische Marin Ireland (SNEAKY PETE, UMBRELLA ACADEMY), deren schauspielerische Leistungen hier auf Schreien, Weinen und Selbstverstümmelung reduziert werden. Wie man relevante menschliche Themen mit Genremotiven kongenial vereint, zeigt ein Film wie RELIC, das hier ist trotz ein paar gelungener Schreceknsmomente eher eine Horor-Showreel.
7500
Autor und Regisseur Patrick Vollrath setzt bei seinem Langfilmdebut wie schon Paul Greengrass bei UNITED 93 konsequent auf dokumentarischen Realismus: Der deutsch-englisch-sprachige Hijacking-Thriller wurde nahezu ausschließlich im Cockpit eines echten Flugzeugs gedreht, der Kapitän wird von einem ehemaligen Piloten gespielt und die Schauspieler mussten ihre Bewegungen auf dem engen Raum komplett improvisieren. Die Rechnung geht auf: Von der ersten Minute an hat man hier den Eindruck, ganz vorne hautnah mit dabei zu sein, vom Start-Check über die Versuche, das Cockpit zu stürmen, bis zum bitteren Ende. Das hier ist definitiv nichts für Menschen mit Flugangst. Joseph Gordon-Levitt ist großartig als Everyman-Pilot, der plötzlich über Leben und Tod entscheiden muss und dabei nicht nur Regularien, sondern auch eigene Prioritäten abwägen muss(seine Partnerin ist als Stewardess mit an Bord) – das hier ist sein CAPTAIN PHILIPS. Einziger Wermutstropfen sind die etwas klischeehaft gezeichneten Entführer, ansonsten ist das verdammt spannendes Kino, das es leider nie auf eine Leinwand geschafft hat.