Filmfest Hamburg 2023

Auch heuer findet - im Anschluss ans FFF - vom 28.09.2023 bis zum 07.10.2023 wieder das Filmfest Hamburg statt… das Programm ist seit heute online (zu finden nach Sektionen geordnet hier oder als Programmheft-pdf).

Bin gerade erst am Durchstöbern, finde es auf den ersten Blick aber wesentlich unspannender als letztes Jahr (in dem ich ja - wegen CoViD19-Pandemie und aus privaten Gründen - leider noch ausgesetzt habe)… vorerst auf der ( noch unvollständigen und weiter auszusiebenden) Liste: „Poor Things“, „How To Have Sex“ , „Anatomie d’une chute“ (mit Sandra Hüller :heart: ), „La Bête“, „Un Amor“, „Heavy Snow“ , eventuell noch „Kuru Otlar Üstüne“ und „Ha’Atid“.

Ansonsten laufen unter Anderem noch „May December“ von Todd Haynes, „Hit Man“ von Richard Linklater, Sofia Coppolas Bio-Pic „Priscilla“, „Aku wa Sonzai Shinai“ von Ryūsuke Hamaguchi, und „L’été dernier“, der neue Film von Catherine Breillat… um mal die bekannteren Namen zu nennen.

…ach ja, und Christoph Schlingensiefs delirierend-debile Wiedervereinigungs-Splatter-Groteske „Das deutsche Kettensägenmassaker“ :crazy_face: (starring Dietrich Kuhlbrodt und Udo Kier) wird auch mal wieder aufgeführt… stilecht am 02.10.2023 um 23:59 Uhr zur Einleitung in den - mit Verlaub - beschissensten deutschen Feiertag überhaupt… :grin:

3 „Gefällt mir“

Finde es auch kaum interessant. The lesson könnte was sein. DEr trailer zu Hitman wirkt so unglaublich generisch, schwer vorstellbar das der von linklater sein soll. Die hefte kommen erst zwei tage vor start habe ich gerade im cinemaxx erfahren. Un amor, la bete, how to have sex…evtl interessant, ja. Ich schaue mal später online ausführlicher.

1 „Gefällt mir“

Hmmm… kann für’s Cinemaxx ja möglicherweise zutreffen, heute abend beim Vorverkaufsstart im Levantehaus (von wo ich gerade zurückkomme) lagen die Programmhefte allerdings schon aus…

Fünf Filme sind’s jetzt geworden - "Anatomie eines Falls ", „Poor Things“", „How To Have Sex“, „Heavy Snow“ und „Un Amor“. Blöd, dass es nun keine freie Platzwahl mehr gibt (laut Angaben der Damen am Ticketschalter haben wir auch das der blöden Pandemie zu verdanken)…

…noch viel viel blöder allerdings, dass bei der Cinemaxx-Vorstellung von „Anatomie…“ der Verleihung des Douglas Sirk-Preises an Hüller wegen im Saal 1 quasi das gesamte hintere Drittel ab dem „Zwischengang“ bei den Treppenaufgängen für die (scheinbar äußerst zahlreichen) Gäste gesperrt ist, und zu dem Zeitpunkt, als ich mit Kartenkaufen an der Reihe war, auch bereits ein Gutteil des mittigen hinteren Parketts weg war… nun sitze ich jwd - nämlich Reihe J, Platz 7… GRRR !!! Wär’ ja sonst auf die Zweitvorstellung ausgewichen, aber zur Mittagszeit, und dann auch noch im großen ABATON-Saal, den ich persönlich ja nicht so prickelnd finde…nee, lass’ ma’ lieber.

Was mir in diesem Jahr am Meisten fehlt, sind so die kleinen feinen Filme aus der ganzen Welt, von denen man noch nie irgendwo gehört oder gelesen hat, und wo man das Gefühl hat, noch ein oder zwei schöne Entdeckungen machen zu können… irgendwie Alles sehr auf Nummer Sicher. Das ganze Programm wirkt auf mich reichlich vorhersehbar, fast schon langweilig - jede Menge Festival-Gewinner, dazu die großen Namen (siehe oben, plus Wenders und Loach), dann fahren sie natürlich wieder voll ihre „politische Filme“-Schiene, die ja so’n bisschen als Alleinstellungsmerkmal dienen soll, für mich aber noch nie so richtig funktioniert hat (auch wenn ich natürlich immer mal gerne was draus mitgenommen habe), die deutschen Beiträge holen mich dieses Jahr auch nicht hinter’m Herd hervor… und Bonello und Rohrwacher als Regie-Schwerpunkte hauen mich leider auch nicht so richtig um („La Bête“ ist bei mir auch wieder rausgeflogen… Ich fand’ den Ausschnitt, der als Trailer fungieren soll, leider arg spröde und farblos, und mal so gar nicht ansprechend…hatte gerade im Frühjahr erst „Zombi Child“ gesehen, als der noch in der arte-Videothek abrufbar war, und der hatte mir eigentlich auch ganz gut gefallen - aber ich geh’ da jetzt einfach mal nach meinem Bauchgefühl und sag’: „So gerne ich Seydoux auch sehen mag, der is’ nix für mich!“).

He he he - den Trailer hab’ ich mir gar nicht mehr gegeben… die Filmbeschreibung wirkte auf mich schon so lahm, dass ich den gleich aussortiert habe. Und dabei war ich damals Mitte der 90er, als ich „Slacker“ irgendwann mal im TV gesehen habe, noch so geflasht… Hab’ seine Karriere nach „Before Sunrise“ dann aber auch nur noch sporadisch dann und wann mal verfolgt - „A Scanner Darkly“ ist tatsächlich der letzte Film, den ich von ihm gesehen habe… und wann und wo war das? Anno 2006, natürlich auf dem FFF… :wink: „Boyhood“ müsste ich eigentlich dringend nochmal nachholen, davon gibt’s seit einiger Zeit ja auch eine schöne Veröffentlichung von Arrow.

1 „Gefällt mir“

Okay, ich habe soeben 60 Filmfest Trailer geschaut. :crazy_face: Die deutsche und Hamburg Sektion rerizt mich eh nicht so, schaue ich mir aber morgen nochmal an. Wie jedes Jahr entdecke ich nach anfänglich sehr wenigen Filmen noch ein paar mehr, die mich grundsätzlich interessieren. Viel ändern tut das dieses Jahr für mich allerdings nicht und nicht alle sind ein Kino must see. Ich bin auch nicht so in Festival Laune zur Zeit.

Linklater fand ich eigentlich nur damals auf Grund von A Scanner Darkly gut. Slacker kenne ich nicht und die Before Filme mochte ich nicht so. (Und Boyhood reizt mich weder vom Konzept her noch von der Länge.) Wenn ich von dem irgendetwas erwartet hätte, dann etwas Besonderes, individuelles. Danach sieht Hitman nun wirklich nicht aus.

Folgende 16 Filme haben heute mein Interesse geweckt:

About Day Grasses
The promised Land
The Lesson
Burning Paradise
The Beast aka La Bete
Nocturna
Un Amor
Radical
Cat Person
May December
Poor Things
How to have Sex
Evil does not Exist
Perfect Days
La Garde Blanche (Doku)
After Work (Doku)

Ob ich welche schaue entscheide ich dieses Jahr eher spontan nach Laune.

Der Trailer zum neuen neue Nuri Bilge Ceylan (Auf trockenen Gräsern) läßt eine phänomenale Lichtsetzung und Atmo erahnen. Leider wieder so lang.

Lanthimos finde ich überschätzt. Dogtooth fand ich unterirdisch. Immerhin hatte ich kurzweilig Spaß mit The Favourite und Lobster. Viel hängengeblieben ist da aber nicht. Poor Things schaut zumindest Unique und nach großer Leinwand aus. Vielleicht klink ich mich da ein ohne große Erwartungen.

Ja, jein…es sind vereinzelt ein paar dabei, z.B. in der Asia Sektion, da sind immer kleine Produktionen dabei, die man nach dem Festival vergeblich sucht. Und zwei/drei waren mir noch aufgefallen -schon wieder vergessen- die darunter fallen.

Das stimmt schon irgendwie. Einerseits ist das über die Jahre natürlich gewisserweise zum Merkmal des Festivals geworden; Bisschen politisch, Geschlechter Themen/Queer und immer wiederkehrende Regie Lieblinge/Preis Gewinner, andererseits nutzt sich das ab und ist für mich auch ein Grund warum mein Interesse an dem Festival kontinuierlich abnimmt. (Für mich persönlich sehe ich darin allerdings auch eine gewisse Konsum Müdigkeit - Ich schaue eh weniger FIlme, und meine Schwerpunkte haben sich verlagert) Ich denke es ist gut wenn mit einem neuen Intendanten auch ein frischer Wind in das Festival kommt.

2 „Gefällt mir“

Der ist aber wirklich klasse :wink: Hatte ich damals auch nicht gedacht, wurde vom Film dann jedoch ziemlich mitgerissen. Nicht zuletzt wegen einem wieder einmal grandiosen Ethan Hawke.

2 „Gefällt mir“

Okay. Ethan Hawke mag ich eigentlich immer. Hatte Boyhood gar nicht so mit ihm im Zusammenhang gespeichert, nicht als einen Ethan Hawke Film. Das macht ihn jetzt wesentlich interessanter für mich. Vielleicht findet sich ja mal ein Zeitfenster dafür bei entsprechender Stimmung.

2 „Gefällt mir“

All About Sandra

Auch wenn ich in diesem Jahr nur bei sieben Filmen mit dabei war (möchte gar nicht wissen, wie es den FFF-Besucher:Innen mit zwanzig oder mehr Sichtungen geht, von den Dauerkarten-Inhaber:Innen mal ganz zu schweigen) - man merkt ja doch, dass das 2023er-FantasyFilmfest einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat, wenn man, sobald das Saallicht erlischt und wider Erwarten nicht die Hollies erklingen oder jemand einem von der Leinwand erzählt, dass sie gerade eine Nonne erblickt habe, irgendwie irgendwas vermisst… :wink: Und da stellt sich dann natürlich gleich die Frage: Ist so ein Kinoleben ohne „The Air That I Breathe“ und die dämonische Ordensschwester überhaupt noch ein lebenswertes? :crazy_face: Die Antwort kann selbstschreibend nur lauten: „Ja, aber…“ :laughing:

Aber mal im Ernst: Das war schon ein seltsamer Filmfest Hamburg-Auftakt gestern abend… Ich hatte gar nicht (mehr) auf dem Schirm, was so eine Preis-Verleihungs-Zeremonie Alles an Rahmenprogramm, Brimborium und Lobhudeleien beinhaltet… und dann letztlich dazu führte, dass der (150 Minuten lange) Hauptfilm erst gegen 20:30 Uhr begann, und ich somit den vorletzten Zug gen Heimat knapp verpasste und 1 1/2 Stunden am HBF Hamburg auf die nächste Bimmelbahn ausharren musste… Putziger coincedence: In der Reihe vor mir und zwei Plätze neben mir saßen mit Joachim Post, Katja Briesemeister und Co. (QueerFilm Fest Hamburg, früher LesBiSchwule Filmtage, Mitte / Ende Oktober) übrigens schon die nächste Filmfest-Orga-Crew… :slight_smile: Eingangs-Statement vom scheidenden Festivalleiter Albert Wiederspiel (bei dem das mittlerweile altbekannt-ausgenudelte „Queen of Cannes“ natürlich nicht fehlen durfte), danach BlaBlaBa vom Herrn Bürgermeister Peter Tschentscher (inclusive noch vieler weiterer über- und abgenutzter Floskeln (" Bereicherung für Hamburg als Kulturstandort", „Tor zur Welt“, usw. usf. - you know the f-ing drill)), welcher es dann - sehr zur Belustigung des Publikums - auch noch schaffte, mal eben kurz bei der Nennung des Geburtsdatums des Namenspatrons für den Preis einen Zahlendreher einzubauen („1987“ (was morbiderweise sein Todesjahr ist) statt „1897“). Okay, solche obligaten Quatschereien ist man bei derlei Anlässen ja mehr oder weniger gewohnt und konnte man Alles auch noch einigermaßen durchstehen… danach aber kam dann noch zur persönlichen Laudatio Hamburg’s very own Jens Harzer (seines Zeichens inzwischen Träger des Iffland-Rings) auf die Bühne und an’s Mikro - und oh my, war das schwer auszuhalten… Nicht nur, dass der Herr in seinem Redefluß aber auch so gar kein Ende mehr finden wollte (wobei er im Bezug auf Hüllers Schauspiel, Herangehensweise und Methoden doch oft auch sehr treffende Worte und Umschreibungen fand), nein, er schaffte es nicht nur, sehr persönliche Zitate und IMHO doch arg vertraulich-intime Details aus privaten Begegnungen und Gesprächen mit der Preisträgerin dem Publikum preiszugeben (wofür er im Anschluss auch noch einen verdienten Rüffel von Hüller retour bekam), sondern fing irgendwann doch tatsächlich auch noch an, ganze Szenen aus der zweiten Hälfte des Films, den wir doch gleich erst selbst noch sehen wollten, zu schildern und im Bezug auf Hüllers Schauspiel durchzuanalysieren… als er dann tatsächlich noch die absolute Schluss-Szene des Films zu erörtern begann, wurd’s mir zu bunt und ich hielt mir die Ohren zu. Ist übrigens nicht nur mir, sondern auch vielen Anderen im Publikum überaus sauer aufgestoßen. Spoiler-Phobie hin, Story-Vorwegnehmen her - ich lasse mir nur äußerst ungern im Vorhinein bereits verklickern, wie ich bestimmte Einstellungen zu verstehen habe. Aber gut, war dann glücklicher Weise auch das Ende seines Sermons.

Hüller selbst war dann überraschend ehrlich, sie habe ja gar nichts vorbereitet, weil sie ja auch gar nicht habe wissen können, was sie hier erwarte, und natürlich würden ihr jetzt die Worte fehlen, und vermutlich würde Alles Weitere, was sie noch zu sagen habe, zu nichts führen (war dann auch so :wink: ). Bedankte sich artig mal hier (Wiederspiel, Justine Triet), mal da (Schauspiel-Agentin, die sie wunderbar abschirme, vor Allem jetzt und in den letzten paar Monaten, wo doch Alles ein bisschen sehr viel geworden sei), fasste sich überaus kurz, setzte sich noch fix für die Fotograph:Innen-Meute in Szene (wobei sie auch hier mit der Absurdität dieser Situation noch spielerisch-humorvoll umging und sich ein, zweimal in absichtlich übertriebene Posen warf), und war dann auch schon wieder weg. Zeit für’s main feature - endlich, möchte man sagen.

Der Auftakt zu „Anatomie d’une chute“ gestaltet sich vollkommen abrupt - man wird mir nichts, Dir nichts, unvermittelt in eine Interview-Szene hineingeworfen, bei der die Kamera ganze nahe (viel zu nahe) an den Gesichtern der Figuren ist, beinahe schon an ihnen zu kleben scheint. Ein irritierend-unangenehmes Auf-die-Pelle-Rücken - und ein gewiefter narrativ-stilistischer Trick, wie sich im weiteren Verlauf zeigen wird, wenn die Fragen von Staatsanwalt und Vorsitzender Richterin im Gerichtssaal im Fortgang des Prozesses zunehmend bohrend-unverfrorener werden, wenn das gesamte Privat-, Familien- und Intimleben der Angeklagten schonungslos entblättert, schamlos der Öffentlichkeit vorgeführt und medial ausgeschlachtet werden… und genau in diesen Momenten die Kameraarbeit meistens etwas mehr aus der Ferne stattfindet, somit genau da und dort, wo Strafverfolgung und gesellschaftlicher Voyeurismus immer näher und noch näher ran wollen, immer tiefer und tiefer graben möchten, konträr verfährt und eine Distanz zum Geschehen schafft. Ja, es hat sich ganz zu Beginn des Streifens, unmittelbar nach der eingangs geschilderten Interview-Sequenz, ein Todesfall ereignet, und Hüllers Figur ist des Mordes angeklagt. Der Kniff des Films ist zum Einen die Verquickung von Realität und Fiktion (nicht nur im plot selbst, bei dem es ja darum geht, dass die Schriftstellerin den Stoff ihrer Romane allzu offensichtlich aus der Realität ihres eigenen Alltagslebens geschöpft hat - nein, es ist sicher kein Zufall, dass die beiden Protagonist:Innen des Films genau dieselben Vornamen tragen wie ihre realen Darsteller:Innen… was unter Anderem im Vorspann durch Kindheits- und Jugendfotos der Beiden, die entweder tatsächlich ihren realen Biografien entnommen oder aber geschickt bearbeitet worden sind, noch verstärkt wird), und des allmählichen Realisierens der schlichten Unmöglichkeit, das Eine vom Anderen irgendwie adäquat trennen zu können, bzw. des Sich-klar-Werden-Müssens, dass eine solche scharfe Trennlinie auch gar keinen Sinn ergeben würde, aufseiten der Zuschauer:Innen andererseits. Was nun objektive Wahrheit ist, und was nur Lüge / bloße Behauptung, das ist weder von der Jurisdiktion, noch von uns als Publikum jemals ergründbar. Beide sind sie fester Bestandteil ein und derselben Wirklichkeit, werden subjektiv-individuell je anders „wahr“-genommen und herausgeformt, und dennoch muss Jede und Jeder letztlich selbst entscheiden, wie er oder sie damit umgehen und sich dazu verhalten möchte.

„Wenn man alles Machbare getan hat, um die Wahrheit zu ergründen, und nichts mehr weiter herausfinden kann, und dennoch sowohl die eine als auch die andere Sichtweise möglich erscheinen, dann wird man sich dennoch entscheiden müssen.“, heisst es an einer zentralen Stelle des Films. In eben dieser Wahl liegt die (clevere) Crux von „Anatomie…“: Nicht nur die Geschworenen im Gericht, nicht nur Sandras Sohn als einziger (Fast-)Zeuge und der mit ihr ein bisschen zu sehr befreundete Strafverteidiger, nein, auch wir als Zuschauende sehen uns gezwungen (oder vielleicht auch nicht?), uns zu entscheiden: Glauben wir der Angeklagten, halten wir sie für unschuldig, oder nicht? Und wenn ja, auf Basis welcher Fakten, wenn doch die Fakten als solche ganz offensichtlich keine sind, sondern eben immer nur Auslegungssache, bei jeder behaupteten „Wahrheit“ immer noch ein Quentchen Interpretations-Spielraum offenbleibt?

Seine stärksten Momente hat der Film vor Allem immer dann, wenn er vom reinen court room drama weg und auf intim-emotionale Augenblicke hinschwenkt… eine Dialogszene von Angeklagter und Verteidiger im nächtlichen Schnee, bei der ein wenig zuviel Alkohol im Spiel ist, eine superb eingebaute „Rückblende“ auf ein per Tonaufnahme mitgeschnittenes Streitgespräch des ganz offensichtlich äußerst zerrütteten Ehepaares, das immer mehr und mehr eskaliert und schließlich in Gewaltanwendung mündet (just in diesem Moment blendet die filmische Darstellung aus, und wir hören nur noch die Tonspur, wie sie im Gerichtssaal weiter abgespielt wird), einen befreienden Gefühlsausbruch während einer Autofahrt („Irgendwer hat mal gesagt, dass Geld vielleicht nicht Alles regeln kann - aber ist es immer noch besser, im Auto zu weinen, als im Zugabteil.“). Ganz stark auch das formidable Spiel des jungen Milo Machado Graner, der als sehbeeinträchtiger Sohn des Paares seine ganz eigenen Gründe hat, herauszubekommen, was wirklich geschah, und dessen Figur zum Ende trotz seines kindlichen Alters den vielleicht erwachsensten Umgang mit der Situation zeigt.

Aber dennoch, was wäre dieser Film ohne die jeder Beschreibung spottende, Alles Andere und alle Anderen in den Schatten stellende Ausnahme-Präsenz von Sandra Hüller? Wo sie bereits anno 2006 in „Requiem“ unter Beweis gestellt hat, dass mit ihr als einer der (damals) zukünftig besten Schauspielerinnen Deutschlands zu rechnen sein würde, man sie allerspätens mit „Über uns das All“ (und vermutlich auch dem von mir ungesehenen „Toni Erdmann“) zu der Riege der europaweit besten Schauspielerinnen hinzuzählen musste, da ist spätestens mit dieser fulminant-einmaligen Performance klar, dass Hüller zu den besten Schauspielerinnen ihrer Generation gehört. Weltweit. Für mich persönlich sowieso seit Jahren schon die beste (noch lebende) actrice. Hat mich aber damals als Michaela Klingler schon so umgehauen, dass ich aus dem Staunen gar nicht mehr herausgekommen bin. Was sie hier und jetzt aber nochmal mehr in die Waagschale (und sich in ihre Figur) wirft, ist schlichtweg unfassbar, und muss man einfach mit eigenen Augen gesehen haben. Andernfalls verpasst man die womöglich beste schauspielerische Leistung des Jahres. In jedem fein nuancierten Zucken der Mundwinkel, in jeder irrlichternd-flackernden Suchbewegung der Augen, in jedem traurig-trotzig halb nach innen, halb in die Ferne gerichteten Blick von Hüller liegt eine ganze Welt verborgen. Eine terra incognita ihrer jeweiligen Figur, die (wenn überhaupt) nur sie kennt, die sie eifersüchtig hütet, vehement vor dem Zugriff Anderer verteidigt. Weil sie diesen „Rest“ der Figur, der trotz aller schauspielerischen Hin- und Selbstaufgabe immer verbleiben muss (wie es Jens Harzer in seiner Laudatio so überaus treffend formuliert hat), für ihr Handwerk so dringend braucht wie Andere die Luft zum Atmen, weil es für ihre performance so ungeheuer wichtig ist wie vielleicht für kaum eine andere Schauspielerin. In „Anatomie…“ ist dieser Rest besonders groß. Ja, er ist bereits qua Skript schon in die Figur eingeschrieben. Und aus diesem Spalt, diesem Abgrund zwischen dem, was wir über die und von der Figur wissen, und dem Rest-Anteil, zu dem wir keinen Zugang haben und den wir nicht kennen, dafür aber umso stärker ergründen wollen, ergibt sich eine ungeheure Spannung und Reibung. Die Eine:n als Zuschauende:n fast kirre machen kann. Trotz oder vielleicht auch gerade weil man sich der Anmaßung und Vergeblichkeit, All About Sandra (Voyter) wissen zu wollen, bewusst ist. Und es aber dennoch umso mehr will. Das Drehbuch spielt geschickt damit, führt uns perfide vor, dass sich weder aus den Dialogen / Aussagen noch den geäußerten Gefühlen der Figuren eine letzte Wahrheit ableiten lässt. „Es wird zu nichts führen“, sagte Hüller in ihrer Dankesrede. Und doch führt es zu soviel.

Ganz am Ende des Films, und ja, dies hier ist jetzt sowas wie ein !!! ACHTUNG !!! Spoiler !!!, sagt Hüllers Figur zu ihrem Anwalt: „Ich dachte, wenn man gewinnt, dann müsste man doch eine Art Belohnung erhalten. Aber nein, es ist einfach nur vorbei.“

Der Film ist dann nach gut zweieinhalb Stunden auch einfach vorbei. Ohne, dass wir der Wahrheit auch nur ein Stückchen näher gekommen wären.

Die Belohnung aber, die ist immens.

4 „Gefällt mir“

Eröffnungs-, Abschluss- und Douglas Sirk Preis Filme sind beim Filmfest HH nicht zu ertragen und ich meide diese inzwischen auch eben wegen extremer Verzögerungen und wirklich behämmerten Reden. Irgendwo gibt es Grenzen.

Das mit dem Ohrenzuhalten hatte ich übrigens auch schon 1,2 mal. Und Spoiler interessieren mich sonst auch eher weniger aber irgendwann wird es dann doch zu bunt. In HH gab es dann auch schon mal den ein oder anderen Zwischenruf ala „Wir wollen den Film auch noch sehen, Digga“.

2 „Gefällt mir“

Bei mir wurde eine Familien Geburtstagsfeier unerwartet auf mehrere Tage ausgedehnt. Einige Filme fallen somit für mich weg, da die Ersatztermine dort quasi ausverkauft sind. Kurz entschlossen habe ich mir ein Ticket für The Beast heute abend geholt. Mit Lea Seydoux. Soll so in der Art wie Cloud Atlas sein. Der Regisseur Bertrand Bonello ist mir bislang nicht bekannt, er wird als Gast vor Ort sein.

1 „Gefällt mir“

Want to dive into your ocean

"I want to walk in the open wind, I want to talk like lovers do
Want to dive into your ocean, is it raining with you"

(Eurythmics, „Here Comes The Rain Again“)

Das queere Liebesdrama „Heavy Snow“ („폭설“) schildert in farbentsättigten, verwaschen-weichgezeichneten Bildern die tragisch-schwelgerische amour fou zwischen der sprunghaften, von Selbstzweifeln geplagten TV-Soap-Opera-Darstellerin Seol und der nur vorgeblich burschikosen, eigentlich aber schüchtern-zurückhaltenden Schauspiel-Schülerin Su-An. Die jungen Frauen teilen alsbald eine tiefe Beziehung miteinander, die - von Beiden so empfunden, dennoch aber unausgesprochen bleibend - mehr zu sein scheint als nur Freundschaft. Bei einer nächtlichen Spontan-Spritztour nach Seoul werden die zuvor nur halbherzig zurückgehaltenen Gefühle, die Beide füreinander haben, in Form eines leidenschaftlichen Kusses offenbar. Doch die Furcht vor gesellschaftlichen Sanktionen und die eigenen inhibitions lassen Su-An davor zurückschrecken, ihr verdrängtes Begehren auszuleben. Seol zieht sich daraufhin tief verletzt zurück und meidet ihre Freundin fortan. Jahre später ist Su-An eine ebenfalls erfolgreiche Schauspielerin am Beginn ihrer Karriere. Doch ihre Gefühle für Seol, die nie wirklich erloschen sind, bringen sie dazu, die quälende Sehnsucht nach der verlorenen großen Liebe mittels Drogenkonsum und innerer Isolation zu sedieren. Da trifft sie auf einer Party in einem Club wieder auf die ebenfalls noch immer mit der Zurückweisung durch Su-An hadernde Seol. Gemeinsam kehren beide Frauen ein letztes Mal an den Strand zurück, an dem ihrer beider Liebe einst begann, um mitten im kalten Winter zusammen Wellenreiten zu gehen…

Ein herzzerreissend-todtrauriges Melodrama über verbotenes Begehren, vertane Chancen und vergebliche Hoffnungen. Laut Ansage des Kurators der „Asia Express“-Sektion tatsächlich die internationale Premiere, nachdem der Film im Frühjahr auf dem Jeonju International Film Festival seine Uraufführung hatte. TV-Serien-Star Han So-Hee (Seol) ist in Südkorea wohl ausgesprochen bekannt / berühmt - ich kannte die natürlich überhaupt gar nicht. Dies hier ist scheinbar ihr Film-Debüt. Sie spielt auch recht überzeugend als unstet-unsichere, leidenschaftlich-unkonventionelle Seol, tatsächlich gefiel mir persönlich Han Hae-In als Darstellerin der eher zurückgenommen-introvertierten Su-An aber noch ein wenig besser. Nun kenne ich mich mit den Konventionen der südkoreanischen Mehrheits-Gesellschaft, was Heteronormativität, lesbisches Begehren und die soziale Akzeptanz von Homosexualität anbelangt, tatsächlich so gut wie gar nicht aus - eventuell kann und mag @Kumiho da ja noch was zu sagen, nach der Rückkehr von ebendort. Gehe aber mal davon aus, dass queere Beziehungen vom Großteil der Bevölkerung dort eher nicht so gerne gesehen werden, vor Allem, wenn sie offen gelebt werden. Was dann auch das tragische Ende / die Unmöglichkeit einer Erfüllung dieser Liebe erklären würde… was hier im Kino-Kontext der Gesellschaften der nordwestlich geprägten Hemisphäre ja spätestens seit den 1990ern mit dem New Queer Cinema eigentlich schon ad acta gelegt ist. Als Problematisierung / Heraushebung einer solchen sozialen Stigmatisierung wäre das dann natürlich mehr als verständlich. Auch wenn ich mir persönlich einen eher hoffnungsvolleren Ausgang der Geschichte gewünscht hätte, ist das im Kontext des Geschilderten tatsächlich vollkommen konsequent… auch, wenn es zumindest mir letztendlich schon ganz schön an die Nieren ging. Schön auch das Meer als Metapher für Begehren / Liebe / Leidenschaft, bzw. der Strand als zu überschreitende Grenze, wenn frau sich auf die Wogen der sea of love hinauswagt. Auch die im letzten Drittel des Films mehr und mehr verschwimmenden und sich auflösenden Grenzen zwischen Traum / Wunsch und Wirklichkeit / Realität sehr schön bebildert - inclusive einer der schönsten und anrührendsten Liebes-Szenen, die ich seit einiger Zeit auf der Leinwand bewundern durfte. Obwohl beziehungsweise vielleicht auch gerade weil dort mehr als eine liebevoll-innig-geborgene Umarmung gar nicht stattfindet.

Regie und Kamera auch gut bis begeisternd - vor Allem, wie hier Gesichter ausgeleuchtet und abfotografiert werden (ob nun frontal, oder auch im Profil), und wie dabei mit Licht und Schatten gearbeitet wird, ist phänomenal und schwer beeindruckend. Überhaupt, die Gesichter der beiden Protagonistinnen - wie sie klar und offen einander zugewandt sind, und doch das so mühsam verdrängte Begehren und die unterdrückten Leidenschaften immer wieder an die Oberfläche zu treten versuchen… doch doch, das ist Alles schon sehr sehenswert.

Ein schwermütig-schwelgerisches Drama um die Unmöglichkeit, die eigenen Gefühle Wirklichkeit werden zu lassen, und den Traum einer gemeinsamen Zukunft in die Realität hinüberzuretten. „It’s like a different world.“, sagt Seol einmal, als die Beiden gemeinsam auf die unruhig tosende See hinausblicken. Eine jenseitige Welt fern von gesellschaftlichen Konventionen und sozialem Druck, eine Welt als hoffnungsvoller Traum in der Tristesse des Realen, als Möglichbarmachung des Unmöglichen - eine „andere“, ihre Welt, die sie ein allerletztes Mal zusammen betreten.

Am Ende wird nur eine der Beiden wieder aus dem Meer zurückkommen. Die Wellen werden wild schäumend an den Strand schlagen, ungebändigt und überbordend, so wie ihre Emotionen. Sie wird sich in tiefster Verzweiflung auf ihr Surfbrett werfen, als sei es ihre verlorene Geliebte, allein mit sich und der Welt.

Und es wird zu schneien beginnen.

:sob:

„Looks like an early winter, For us“

(Gwen Stefani, „Early Winter“)

The Beast lief gestern in einem fast ausverkauften Passage Kino. Der Regisseur Bonello meinte vor Beginn das KIno hätte genau die richtige Atmo für den Film, und ja, es passte wirklich ganz gut.

Der Film selbst ist interessant aber auch irgendwie überambitioniert und deutlich zu lang. Ich empfand ihn als anstrengend, gerade die Szenen, die um 1910 spielen mit den vielen, langsamen Dialogen waren für mich ein qälend langer intellektueller Aufbau. Insgesamt ist der FIlm leicht verkopft. Allerdings größtenteils ansprechend gefilmt, wenn auch kein visuelles Highlight.

Der FIlm spielt im Jahr 1910, 2014 und 2044 und entspricht der schematischen Idee von Cloud Atlas. Ungefähr in der zweiten Hälfte erhält die moderne Zeit das größere Gewicht und Bonello überrascht hier nicht nur mit trockenem Humor wenn Darsteller George MacKay plötzlich eine Figur mit komplett anderem Character verkörpert, sondern auch mit einem Formatwechsel. Das brachte ein wenig Schwung in den FIlm. Dennoch, ökonomische Erzählen sieht anders aus.

Das anschließende Q&A mit Bertrand Bonello war in Ordnung. Informativ-amüsant kann man sagen, ohne große Höhepunkte. Bonello hatte die Rolle für Lea Seydoux und jemand anderen (dessen Namen ich vergessen habe) geschrieben, der vor den Dreharbeiten verstarb. George MacKay sprang also qusi ein, ich fand ihn ganz gut. Eine Besonderheit ist, das es dieses Jahr einen weiteren FIlm gibt, der auf dem gleichen Buch von Henry James basiert wie The Beast. Die Regisseure haben sich aber nicht abgesprochen, sondern nur wegen des Filmnamens mal telefoniert. Okay.

Ich bin nicht sicher ob ich mir den ein zweites Mal anschauen würde. Ein Versuch…maybe, denn etwas Besonderes ist er ja schon und irgendwie auch einzigartig. Ich finde auch das Eindringen von K.I. als Thema in Filme dieses Jahrzehnts interessant, deren Aufarbeitung sich von den sprechenden Robotern füherer (Sci-fi) Filme mit A.I. schon deutlich unterscheidet.

1 „Gefällt mir“

Fuck the pain away

Kaum ist der Flieger gelandet, das Hotelzimmer bezogen und die passenden Outfits übergestreift, schon geht der excess all areas für die drei südenglischen Freundinnen Skye, Em und Tara auch schon los… Nach ihren endlich überstandenen Abschlussprüfungen wollen sie im kretischen „Ballermann“-Pendant Malia erstmal so richtig die Sau rauslassen - und das heisst für sie: shots galore, schlechte Karaoke-Sessions, Abhotten in überlaufenen Touri-Dissen - aber vor Allem Ficken-auf-Sperma-(und Vulva-Sekret)-komm-raus… Dass der Party-und-Orgien-Kurztrip am Ende vor Allem für die noch jungfräuliche Tara nicht nur schöne Erinnerungen bringen wird, können sie am ersten, ausgelassen-vollabsturz-endenden Abend noch nicht wissen…

Sonnencreme auf viel nackter Haut, Brauenstift-Striche groß wie Nacktschnecken, knalleng-kurze Bademode, die mehr entblößt als sie verhüllt, Lipgloss, Zigaretten und billiger Fusel bis zum Abwinken (und Abkotzen) - Molly Manning-Walkers Langfilm-Regie-Debüt „How To Have Sex“ ist eine economy class-, Eurotrash- und no bullshit-Version von „Spring Breakers“ meets „La Boum“ mit jeder Menge „Kids“- und „Geordie Shore“-vibes. Und so abgöttisch-irrational ich Harmony Korine’s 2013er-instant classic auch liebe - das hier ist dann doch nochmal ein ganz anderes Kaliber. Jetzt zwar nicht unbedingt in Sachen „künstlerische Vision“ oder „filmische Handwerkskunst“ (in beiden Bereichen hat „Spring Breakers“ klar die Nase vorn), sondern vielmehr in Sachen Ernsthaftigkeit, Seriosität und ja, auch Intensität. Wo bei Korine alles knallig-bonbonfarben überzeichnet und ausgelassen-hedonistisch überdreht ist, sich ganz klar als bitterbös-berechnende Bloßstellung der Banalität des american dream und der plakativen Leere Hollywood-esker Bilderwelten deuten läßt, da vermittelt „How To Have Sex“ den Zuschauenden eine knallhart in den Magen hauende Unmittelbarkeit und verunsichernde Ambiguität juveniler Erfahrungswelten, dass man am Liebsten auf der Stelle aus dem Kinosessel aufspringen und die kaum geschlechtsreifen jungen Erwachsenen kräftig durchschütteln oder sie an der Hand nehmen und schleunigst vor dem drohenden Unheil, dass sich (nur für sie nicht) überdeutlich anbahnt, in Sicherheit bringen möchte. Lange schon hat mich kein Film mehr so dermaßen nervös, hibbelig-kribbelig angespannt und unruhig at the edge of my seat hin- und herrutschen lassen, in Erwartung, dass gleich wohl das Allerschlimmste sich ereignen würde. Was es dann auch tut - und die inner tension sich aber dennoch nicht löst. Denn beinahe noch schlimmer als das, was Tara widerfährt, ist, wie ihre Umwelt weder ihre Verhaltensänderung wahrzunehmen in der Lage, noch gewillt zu sein scheint, darauf auch nur irgendwie adäquat zu reagieren. Während sich Syke und Em die potentiellen Sex-Partner:Innen ihres jeweils präferierten Geschlechts locker-unbefangen aussuchen, ist für die schüchtern-unerfahrene Tara die Beziehungs- und-Koitus-Anbahnung ungleich schwieriger… zwischen dem linkisch-unbeholfenen, dafür aber sympatisch-usseligen Badger und dem vorlaut-rücksichtslosen, protzhaft-testosterongesteuerten Paddy, die Beide auf ganz unterschiedliche Art und Weise um ihre Gunst buhlen, trifft sie in einer rauschhaft-ausufernden Nacht, wie nur junge Teenies, die zur falschen Zeit mit den falschen Leuten am denkbar falschesten Ort sind, sie erleben können, eine Wahl… oder vielmehr trifft jemand anders anstatt ihrer diese Wahl… und sie wird für den Rest der vacation, alleingelassen unter vielen und kaum fähig, sich verbal darüber äußern zu können, damit klarkommen müssen.

Die ganze Riege der jugendlichen Darsteller:Innen spielt so dermaßen überzeugend, authentisch und lebensecht, dass man stellenweise tatsächlich das Gefühl hat, sich beinahe schon in einer Dokumentation zu befinden. Auch die überzeugend geschriebenen und an keiner Stelle unecht sich anhörenden Dialoge tragen eine ganze Menge dazu bei. Hauptdarstellerin Mia McKenna-Bruce als verhuscht-verschlossene Tara aber legt hier eine (gerade auch für ihr Alter unglaublich formidable) absolut sehenswerte Glanzleistung hin. Allein schon, wie unfassbar viel an innerem Gefühlschaos, emotionaler Taubheit und trauriger Verlorenheit sie nur mit ihrem Blick und ihren Augen auszudrücken in der Lage ist, lohnt schon das Lösen der Kinokarte. Eine Szene, in der sie todmüde und mutterseelenallein die völlig vermüllte und menschenverlassene main street des Vergnügungsviertels hinabmarschiert, wörtwörtlich abgefuckt und ausgewrungen, mit stumpfem Blick und verrutschter Trikotage, so als sei es gleich high noon und als habe sie sich bereits mit ihrem Schicksal abgefunden, steht hier symbolisch für die ganze malaise des gesamten Films und der Situation. Da, wo Alle sich bloß amüsieren und auch in der nächsten durchgemachten Nacht die Nacht ihres dafür noch viel zu jungen Lebens er- und verleben wollen, bleiben diejenigen, deren emotional-psychologischer Kater (wobei dieses Wort natürlich eine viel zu verharmlosende Umschreibung für den nicht wirklich konsensuellen date rape, den Tara erleiden muss, ist) sich nicht durchs nächste Konter-Bier wegsaufen lässt, und deren Traumata nicht im nächsten ekstatisch-trivialen Feier-Exzess in Wohlgefallen sich auflösen, unbeachtet und unverstanden, mit sich und ihre Nöten allein gelassen, verloren am Rande der Party stehen.

Tolle, unmittelbar-involvierende, irritierend-intensive Kameraarbeit und schönes Sound Design übrigens auch, die viel für dieses Gefühl des Ganz-Dicht-Dabei-Seins (und dann Doch-Nichts-machen-Könnens) mitverantwortlich zeichnen… in all die knallend-blendenden Neonfarben, flackernd-stroboskopigen Disco-Lichter, das kakophonisch sich überlagernde Stimmengewirr und die viel zu lauten, ohrenbetäubenden Party-Sounds- und -Songs fühlt man sich als Zuschauende mitten hineingeworfen und darob dann selbst schon fast verirrt-verloren.

„We got this.“ ruft Em ihrer traurig-traumatisierten Freundin ganz am Ende, als die Wahrheit über jenes erste Mal endlich raus ist, aufmunternd zu. Taras trotzig-empowerter Freudenschrei „We’re going home!“ zeigt, dass in weiblicher Solidarität (gerade unter Freundinnen) immer noch die Hoffnung, sich auch durch solche grauenhaften Taten nicht auch noch das ganze weitere Leben kaputtmachen und bestimmen zu lassen, liegt. Ein - vor Allem auch in Bezug auf die im Film vorausgegangene Leidensgeschichte - wichtiges, optimistisch stimmendes Ende.

1 „Gefällt mir“

Die fabelhafte Welt der Bella B.

… willkommen zu Yorgos Lanthimos’ frivol-opulentem Female Frankenstein Feminist Fuck Fest ! :wink: :stuck_out_tongue:

Das Erste, was an „Poor Things“ auffällt und sofort (beinahe wortwörtlich) ins Auge sticht, sind zum Einen das barockesk-ausladende, verdreht-überbordende Steampunk-Design, und zum Anderen die extrem verzerrten Froschaugen-Weitwinkel-Perspektiven, die immer mal wieder (IMHO unnötiger Weise und meist auch eher uninspiriert) zwischendurch eingesetzt werden… Beides wird der Film bis zum Ende hin beibehalten, Beides wird mir bis zum Ende hin schwer auf die Nerven gehen - beziehungsweise gewöhnt man sich irgendwann auch mehr oder weniger daran, und nimmt es dann einfach so hin.

Auch die etwas zu sehr gewollte spleenige Schrägheit, das absurd Abseitige der ganzen weirden Szenerie, dieses spinnert Verrückte des Settings gingen mir doch sehr gegen den Strich. Da gibt es Hühner mit Schweinsköpfen, Entenhälse, die auf Hundekörper gesetzt wurden, eine Kutsche, die mit Dampf betrieben wird und an deren Vorderfront aber ein Pferdekopf prangt, so wie weiland einst im Märchen das Haupt des armen Falada über dem Torbogen hing. Für meinen Geschmack alles viel zu dick aufgetragen, way too verspielt-überkandidelt. Aber auch hier: Mit zunehmender Laufzeit rückt das Alles glücklicherweise mehr und mehr in den Hintergrund - dann nämlich, wenn die Geschichte um die junge Frau, der das Hirn ihres eigenen Ungeborenen in den hübschen Kopf gepflanzt wurde, ebendiesen ihren eigenen durchsetzt, das Anwesen des von ihr nur „God“ (ich sagte ja schon, überdeutlich) genannten Godwin Baxter hinter sich läßt und aus dem mehr und mehr als beengendes Gefängnis empfundenen Herrenhaus mit einem schmierig-verlogenen Rechtsanwalt Reißaus nimmt… hinaus in die große weite Welt, deren vielgestaltige Wunder und verlockende Verheißungen am eigenen Leibe (<-- wortwörtlich) zu erfahren sie begierig ist.

Emma Stone als Bella Baxter channelt eine anfangs ungelenk staksende, nur in abgehackten Wortfetzen sich artikulierende Frankensteins-Monster-Version von Björk (inclusive einer Kostümierung, die vermutlich genau so auch aus Frau Guðmundsdóttirs Kleiderschrank hätte stammen können - eine verwegen-verpeilte Mischung aus „Barbarella“ meets John Galliano auf 'nem schlechten Trip - diese überdimensionierten Puffärmel !!! Aaaargh !!!). Willem Dafoe als gutmütig-gestrenger mad scientist-Märchenonkel mit Hackfresse, der gerne auch mal gasgefüllte Blubberblasen aus dem Maul entweichen lässt, ist in seiner Nebenrolle hier mehr oder weniger zum bloßen Statisten degradiert worden. Macht aber auch weiter nichts, denn spätestens wenn Bella ihre Swan-Haftigkeit ablegt :wink: und die Sinnesfreuden ihrer Geschlechtsorgane entdeckt, und darob einen immensen Appetit entwickelt, sowohl sexuell-koital als auch in Sachen exquisite Gaumenfreuden, verlagert sich das Geschehen ohnehin vom Uni-Hörsaal und dem hauseigenen OP-Raum („Bella cut too?“ - „Only dead people!“) mehr aufs Tanzparkett und die Boudoirs. Diese Öffnung hin zur großen weiten Welt tut sowohl der zunehmend lebenshungrig-entdeckerfreudigen jungen Frau, als auch dem Film selbst gut. Was dann anfangs noch eher amüsant-belustigend und grotesk-komisch anmutet, und im ersten Drittel der Laufzeit mehr und mehr zitierfähige one-liner produziert („She touched my hairy business!“ - „Now if you’ll excuse me, I have to go and punch that baby!“ - „And what about the tongue-play you wanted to perform on me? Is that not happening?“), das wandelt sich nach und nach zu einer ernsthaften Emanzipations-Erzählung um self-empowerment, weibliche Selbsterfahrung und den Willen, subjektive Verantwortung zu übernehmen und als Effekt nicht nur individuelle, sondern auch gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen. Und spätestens hier wird dann auch endgültig klar, dass der titelgebende Terminus poor things dabei ist, weg von den Frauen hin zu den Männern zu shiften - wenn er nicht eh schon von Anfang an das hier nur vorgeblich starke Geschlecht benannt hat. Ob nun der eitel-geckenhafte, blasiert-liebeskranke Duncan Wedderburn (Oh! Die Namen in diesem Film!), den zu spielen Mark Ruffalo sichtlich diebisches Vergnügen bereitet (der dabei aber für meinen Geschmack etwas zu sehr übers Ziel hinausschießt), der zynisch-lebensängstliche Harry Astley, oder die diversen Herrschaften, welche sie in ihrer Arbeitszeit in einem Pariser Bordell bedienen muss - sie alle werden von Bella durchschaut, entlarvt, und nicht selten genug auch in ihrem möchtegernhaften Männlichkeitswahn bloßgestellt und der Lächerlichkeit preisgegeben.

Ja, das ganze „wilde Herumgespringe“, wie Bella den koitalen Liebesakt zu Beginn noch unbefangen-kindlich tituliert, das wieder und wieder ins Bild gesetzte Sich-durch-die-Welt-Vögeln, das unaufhörliche Rumgeficke kann auf Dauer doch ein wenig ermüden - aber wie sagte Frau Baxter doch so schön: „Ich kann nicht verstehen, warum ihr Leute eine so schöne Sache nicht den ganzen Tag lang macht.“ Spätestens hier jedoch werden allerdings auch einige Probleme in der eben doch nicht so glatten und gefälligen Darstellung der feminist fable deutlich. Zum Einen wird der Auswahlprozess durch die männlichen Bordellgäste doch schon sehr nach dem Prinzip eines male chauvinist gaze inszeniert, beinahe wie eine ekelhafte „Fleischpräsentation“ in der Schlachtertheke, zum Anderen bricht der story arc um Bellas Bordellkarriere just in dem Moment ab, als sie laut eigener Schilderung emotional abzustumpfen beginnt - in jenem Augenblick also, in dem beispielsweise Lizzie Bordens trist-trostlose sex work-Sezierung „Working Girls“ gerade erst anfängt, so richtig wehzutun. Aber wirklich wehtun, das will dieser Film wohl auch gar nicht. Insofern ist es vielleicht auch etwas unfair, ihm das dann vorzuwerfen. Dennoch verbleibt hier das ungute Gefühl einer narrativ-diskursiven Leerstelle, die Ahnung, daß da irgendwie doch noch mehr möglich gewesen wäre. Auch der erst kurz vor dem Filmende wiederaufgenommene Nebenstrang um Bellas Herkunftsgeschichte wirkt wie ein unnötig-ungelenker Schlenker, der zudem der ganzen chose letztendlich auch wenig bis gar nichts Neues mehr hinzuzufügen hat.

Wie dem auch sei, als Freaky-Feministic-Expialidocious-Feel-Good-Movie mit farbenfrohen Schauwerten, oft, vielleicht zu oft komisch-belustigenden Momenten und einem deftig-kräftigen Schuß Lebens- und Liebeslust sowie einer mitreißend-umwerfenden, Funken der Begeisterung versprühenden Emma Stone in der Rolle ihres Lebens vermag „Poor Things“ durchaus zu unterhalten. Viel mehr sollte man aber auch nicht erwarten. Aber das ist ja auch schon mal was.

Une très jolie folie, wie die Französ:Innen sagen würden. Aber auch mit Anspruch und Köpfchen.

„It’s all been quite interesting, what is happening.“ rekapituliert Willem Dafoe als Godwin Baxter kurz vor Filmende.

Gleiches ließe sich von diesem Film als Ganzes behaupten.

1 „Gefällt mir“

Außerhalb von Seoul, aber auch generell, ist es wohl schwierig mit Homosexualität. Aber wo ist das wirklich anders. Filme und Serien mit Homosexualität gibt es aber viele.

Han Sohee ist sehr populär. Sie spielt auch die Hauptrolle in der Netflix-Serie My Name und spielt in Jungkooks Musikvideo zu Seven mit. Außerdem ist sie Werbeträgerin für HBAF, vermutlich Koreas größte Marke außerhalb von Elektronik und Schwerindustrie.

1 „Gefällt mir“

so schade dass der Kinostart verschoben worden ist