Podiumsdisskusion zur Beschlagnahmung von TCM, Samstag, 4.9.2010, Berlin

Hab’s nun schon vor ein paar Tagen erfahren, war aber bisher zu faul und / oder mit anderen Dingen beschäftigt gewesen, um diese Veranstaltungs-Ankündigung hier zu posten - was hiermit nachgeholt sei:

Am Samstag, dem 4. September 2010, wird im Berliner “Filmkunst 66”, von der Humanistischen Union in Zusammenarbeit mit Filmkunst 66, One World Berlin, realeyz.tv und Turbine Medien Tobe Hoopers Horrorfilm-Klassiker “The Texas Chainsaw Massacre” gezeigt und im Anschluss daran das seit nunmehr 25 Jahren in der BRD bestehende Aufführungsverbot der ungekürzten Version dieses Klassikers diskutiert werden. An der Podiums-Diskussion teilnehmen werden der bekannte Filmwissenschaftler und -journalist Dr. Stefan Höltgen sowie René Bahns (wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität, Promotion zum Thema “Indizierung von Filmen”).

Termin: Samstag, 4.9.2010, 22:30
Ort: Filmkunst 66 (Bleibtreustraße 12, 10623 Berlin)
Weitere Infos unter: http://www.filmkunst66.de

Hier der erläuternde Text zur Veranstaltung:

Einmal verboten, für immer im Giftschrank?

"Eine Strafe ist irgendwann vorüber. Ein Verbot besteht dagegen ewig. Das musste die DVD-Firma Turbine Medien feststellen, als sie zum 35. Geburtstag des bahnbrechenden Horrorfilms “The Texas Chainsaw Massacre” (Blutgericht in Texas, Das Texas Kettensägen-Massaker) eine filmhistorisch umfassende Edition für die deutschen Filmfans veröffentlichen wollte.

Denn das Original ist seit dem 23. Dezember 1985 verboten. Im Beschlagnahmebeschluss des Münchner Landgerichts 1 steht: “Der Film ‘Ketten-Sägen-Massaker’ ist sicher kein Werk der Kunst, so dass bereits aus diesem Grunde auf die Bedeutung des Kunstvorbehalts des Art. 5 Abs. 3 GG nicht eingegangen zu werden braucht. Nach alledem stellt der Film weder eine Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte dar (§ 131 Abs. 2 StGB) noch zielt er auf das kritische Bewusstsein des Betrachters ab. Er liefert auch keinen Denkanstoß hinsichtlich der Problematik der Ursachen von grausamer Gewalt, sondern er versteht sich als Horrorfilm, der von brutalen und geschmacklosen Szenenfolgen lebt.”

Tobe Hooper und Kim Henkel erzählen in “The Texas Chainsaw Massacre” eine typische Urbanoia-Fantasie: eine Gruppe Jugendlicher gerät in die Fänge einer Hinterwäldler-Familie, die sie umbringen und essen wollen. Was Hoopers billig gedrehtes Debüt von anderen Horrorfilmen unterscheidet, ist der erkennbare Bezug zu gesellschaftlichen Problemen, wie dem Vietnam-Krieg und der Massentierhaltung, die alptraumhafte, schwer zu ertragende Atmosphäre, die formale Geschlossenheit und das geschickte Spiel mit der Vorstellungskraft des Zuschauers. In den Kinos war der Film ein Hit. Die Einnahmen haben das Budget um das Fünfhundertfache übertroffen.

Inzwischen ist der Film Teil der ständigen Ausstellung des Museums of Modern Art in New York. Er wird allgemein als ein moderner Klassiker des Horrorfilms angesehen, Leatherface ist einer der legendärsten Filmbösewichte und die zahlreichen Fortsetzung, Parodien und Hommagen bestätigen immer wieder seinen Einfluss auf die Popkultur. Außerdem haben sich nach einem viertel Jahrhundert die Sehgewohnheiten geändert.

“Wir hatten sogar Angst, dass der Film, wenn er von der FSK geprüft wird, eine Ab-16-Freigabe erhält und jeder glaubt, dass es sich um eine gekürzte Version handelte”, sagt Christian Bartsch, Produktmanager bei Turbine Medien. Dem war nicht so. Denn, so mussten sie feststellen, wenn in Deutschland ein Film, ein Lied oder ein Buch wegen Gewaltdarstellungen (§ 131 StGB), Pornographie (§ 184 StGB), Volksverhetzung (§ 130 StGB) oder der Verletzung von Persönlichkeitsrechten (wie der Roman “Mephisto” von Klaus Mann, der erst nach jahrelangen Gerichtsverhandlungen 1980 gedruckt werden durfte) verboten wird, dann ist es für immer verboten.

Die einzige Möglichkeit, ein solches Verbot aufzuheben ist, dass jemand den Film wieder veröffentlicht, jemand gegen diese Veröffentlichung klagt und dann ein Gericht die Klage ablehnt. Falls das Verbot bestätigt wird, muss der Verlag die DVDs abschreiben und auf den Müll werfen. Dieses Risiko wird natürlich – Ausnahmen bestätigen die Regel – nicht eingegangen und so bleiben in Deutschland verbotene Werke für immer verboten.

In Österreich und der Schweiz kann der Film dagegen ganz legal gekauft werden. Auch in anderen europäischen Ländern ist “The Texas Chainsaw Massacre” legal und ungekürzt teilweise schon für Vierzehn- (Italien) und Fünfzehnjährige (Schweden, Dänemark) erhältlich. In Kanada dürfen Dreizehnjährige den Film sehen. Nur in Deutschland dürfen sogar Erwachsene den Film nicht sehen.

Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union, das Menschenrechtsfilmfestival One World Berlin, die Independent Film Onlineplattform realeyz.tv und der DVD-Verlag Turbine Medien möchten mit dieser Filmvorführung den Weg zu einer Wiederaufnahme des Falls und zeitgemäßen Diskussion über den Film ebnen."

Quelle: F.LM - “Einmal verboten, für immer im Giftscharank?”

Ist ja vielleicht für die Eine oder den Anderen hier auch nicht so ganz uninteressant… :wink: …wenn ich in Berlin (oder in der Nähe) wohnen tät’ (was aber nicht der Fall ist), würd’ ich selbst hingehen… Naja, eventuell zieht’s ja einen von den in der Hauptstadt lozierten Forums-Mitgliedern dorthin, und dann wär’s natürlich sehr sehr nett, wenn Du / Ihr dann im Nachhinein hier im thread noch ein bisschen was drüber berichten würdet…

[ Diese Nachricht wurde bearbeitet von: die_Lachsschaumspeise_! am 18.08.2010 00:38 ]

Der Begriff der Kunst, den das bayerische Gericht so selbstgefällig ablehnt (oder nicht begreift), ist in einem ständigen Wandel, abhängig von Zeitgeist und Persönlichkeit. Der Dreck von heute kann Kunst von morgen sein, und andersherum sind einst gefeierte Werk heute komplett vergessen. Aber was soll man da diskutieren? Eine echte Diskussion müsste mit Vertretern stattfinden, die diese Entscheidung getroffen haben.