Ich kann verstehen, dass das FFF sich nur allzu gerne am Netflixbashing beteiligt und einen solchen Artikel teilt, denn ganz klar machen ihnen die Streamingdienste die Arbeit schwerer. Eventuell führen sie sogar dazu, dass es Filmfeste wie das FFF in Zukunft in dieser Form nicht mehr geben wird. Netflix dafür verantwortlich zu machen, greift jedoch zu kurz.
Ich teile den Artikel in keinster Weise, da er meiner Ansicht nach nur eine sehr einseitige Sicht der Verhältnisse vermittelt. Aus Interviews mit Filmschaffenden insbesondere aus dem Independentbereich und Analysen der heutigen Filmlandschaft (die im Artikel übrigens nur gestreift wird) wird klar, dass kleinere Filme wie der im Artikel genannte „Tramps“ heutzutage ohne Netflix überhaupt keine Distribution mehr erfahren würden. Schon gar nicht im Kino. Für viele Indie-Filmemacher sind Netflix & Co. die einzige Möglichkeit, dass ihre Filme überhaupt gesehen werden. Und dass sie vom Filmemachen einigermaßen leben können.
Insofern ist die Aussage des Indiewire Artikels „When Netflix buys a movie, it guarantees that the vast majority of people will never get to see it in its full glory.“ vollkommener Bullshit, weil solch ein Film heutzutage maximal einen kurzen Festivalrun hat und das war’s dann mit der „Glory“.
Ja, es stimmt, dass es bei Netflix ein Filmangebot gibt, von dem der Normalseher schnell überfordert sein kann. Deshalb laufen bei Netflix auch Empfehlungsalgorithmen, die bestimmt (noch) nicht perfekt sind, aber schon allemal besser funktionieren als z. B. die von amazon. Aber über deren Usability breiten wir ohnehin lieber mal den Mantel des Schweigens. Über das neue Ratingsystem mit Daumen hoch und Daumen runter kann man ebenso geteilter Meinung sein. Aber wer sich wirklich für Filme interessiert, wird auch welche entdecken – ob im Nachtprogramm, im Kommunalen Kino, auf dem Wühltisch oder auf Netflix. Denn mal ehrlich: Wie realistisch ist es heute noch, dass irgendein Studio oder ein Streamingdienst Geld in die Hand nimmt, um einen Arthousefilm wie „Tramps“ (unabhängig von seiner Qualität) zu vermarkten? Sorry, aber die Zeiten sind lange vorbei und ihnen nachzutrauern heißt, die Augen vor der Realität zu verschließen.
Einem erfolgreichen Big Player die Schuld zuzuschieben, ist natürlich einfach und erhält unter Konzernkritikern rasch Beifall. Dabei reagieren die Streamingdienste nur auf das veränderte Konsumverhalten und damit auf die Nachfrage, sonst wären sie nicht erfolgreich. Und die kommt – Achtung, eigene Nase – von uns. Vielleicht nicht in der Hauptsache von uns spezialisierten Filmfreaks, aber letztlich von jedem Filmgucker, der sich überlegt, ob er bereit ist, für sich oder womöglich die ganze Familie 10-12 Dollar/Euro pro Nase für einen Blockbuster auszugeben, sich lieber die DVD zulegt oder für einen Bruchteil des Geldes pro Monat alle Pixars, Disneys und Marvels ins Wohnzimmer streamt. Und diese Argumentation wurde hier in diesen Foren (…) auch schon häufig angeführt. Klar ist das etwas anderes als ein Kinoerlebnis. Aber die Welt verändert sich.
Fakt ist: Streamingdienste wie Netflix, Portale wie iTunes und Produktionsfirmen wie Blumhouse sorgen momentan dafür, dass außerhalb von Blockbustern und Animationsfilmen viele andere Filme überhaupt noch gemacht und gesehen werden können. Man muss das nicht gut finden und vielleicht erlebt der „Kinofilm für Erwachsene“ irgendwann mal eine Renaissance, aber bis dahin nützt es nichts, demjenigen ans Bein zu pinkeln, der uns jeden Tag die Futterdose aufmacht.